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Es sind zwei faszinierende Wissenschaftlerbiografien, die die verschiedenen politischen Umbrüche im 20. Jahrhundert in Leipzig und Umgebung gemeistert haben: Prof. Edith Göpfert war Hirnforscherin, Prof. Alfred Göpfert Mathematiker, beide Alumni der Universität Leipzig. Ihre Nichte, PD Dr. Anja Werner, ist Wissenschaftshistorikerin, ebenfalls Alumna, und hat den Nachlass gesichtet – und der ist sehr umfangreich. Sie hat dem Unimagazin viel über die bewegte Geschichte des Ehepaares Göpfert zu erzählen. Und vielleicht wird eines Tages sogar ein Buch daraus.

Die Medizinerin und der Mathematiker – nicht nur im Tanz eng verbunden

Aus dem Lebenslauf von Edith Göpfert lässt sich heraushören, dass sie wissensdurstig, willensstark und sportlich war. Schon als Kind, es muss in den 1940er Jahren gewesen sein, hatte sie den Wunsch, fechten zu lernen. „Ihre Mutter“, gibt Anja Werner die Familienanekdote wieder, „hat ihr nichts abgeschlagen, sondern sogar ein hieb- und stichfestes Leibchen dafür genäht.“ Häufig auf diese Art bestärkt, wuchs Edith zu einer starken Frau heran, die in der Wissenschaft ihren Weg fand und ging. Mitte der 50er Jahre lernten Edith und Alfred sich über Leipziger Studentenkreise kennen, ein paar Jahre später werden sie ein Paar – für den Rest des Lebens.

„Sie waren Wissenschaftler durch und durch, ein enges Team und sich sehr verbunden. Wir sagten in der Familie immer, sie ist sein größter Fan“, berichtet Werner. „Gleichzeitig hat sie auch ihren eigenen akademischen Weg ehrgeizig beschritten. Sie haben sich gegenseitig bestärkt, was ja in den 50-60er Jahren nicht selbstverständlich war.“ Beide waren sehr aktiv in ihren jeweiligen physiologischen und mathematischen Wissenschaftskreisen. Darüber hinaus nahm das Tanzen für beide eine sehr wichtig Rolle ein. Mehrfach brachten sie es zur DDR-Meisterschaft. Da wurde auch schon mal ein zweiwöchiger Freistellungsantrag an der Uni gestellt, um sich im Tanzlager vorbereiten zu können. „Die ausladenden Tanz- und Ballkleider in riesigen Schutzhüllen waren in ihrem ausgebauten Dachboden in Leipzig-Rückmarsdorf nicht zu übersehen.“ Für die junge Anja Werner sehr faszinierend.

Ein Kaffeetreffen als Initialzündung für eine Forschungsarbeit

Später waren es die Gespräche mit Tante und Onkel, die sich einprägten, denn sie erwiesen sich als ernstnehmende und fördernde Gegenüber. „In der Familie wird Edith als lebenslustig, humorvoll und quirlig beschrieben. Fred wiederum hat sich für jeden Zeit genommen und durch sein Interesse das Gefühl gegeben, wirklich wichtig zu sein.“ In ihrer Familie seien viele Mediziner durch Ediths Schule gegangen. Mindestens zwei Generationen haben in Leipzig studiert. „Sie war streng und korrekt. Familiäre Vorteile gewährte sie nicht. Ihre Vorlesungen waren top. Anfang der 60er Jahre war sie teils noch jünger als die Studenten. Und das in der Zeit als Frau. Sie hat es als Herausforderung genommen und sich fachlich überzeugend durchgesetzt.“

Für Anja Werner, die Amerikanistik-Studentin, sollte ein Kaffeetrinken entscheidend für ihren Werdegang sein. „Ich hatte im Uniarchiv die Matrikel von 1776 bis 1914 durchgeschaut. Das überraschende Ergebnis waren 1.500 Namen von Amerikanern, der größte Teil nach 1860 immatrikuliert, eine Blütezeit der Uni. Beim Kaffeetrinken habe ich die beiden um Rat gefragt, was ich denn nun mit der Liste anfangen solle.“ Edith verwies sogleich auf Carl Ludwig, der in derselben Zeit die Physiologie in Leipzig aufbaute und sofort US-Amerikanische Studenten hatte. „Aus ihren Unterlagen zog sie doch tatsächlich eine Biografie von einem meiner Amerikaner auf der Liste. Und Fred brachte natürlich die Mathematik ins Spiel und präsentierte seinerseits eine Biografie von einem wichtigen Mathematiker, der zeitweilig in der Stadt war.“ Damit war Anja Werner klar, dass sie einen Anfangsfaden hatte und sich nach Fachrichtungen über Heimatunis, Netzwerke und Sekundärliteratur weiter hangeln konnte. „Diese Arbeit war der Grundstein für viele folgende. Ich hatte mein Thema gefunden.“

Prof. Dr. med. habil. Edith Göpfert (*01.10.1935,  t08.04.2024 beides in Leipzig) hat von 1954 bis 1959 in Leipzig Medizin studiert, später promoviert und war seit 1960 am Carl-Ludwig-Institut (CLI) für Physiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig tätig. Dort hatte sie von 1992 bis zu ihrem Ruhestand 2000 die Professur für Physiologie inne. Ihre Lehr- und Forschungsgebiete waren außerdem System-, Sinnes- und Neurophysilogie. Anfang der 90er Jahre war sie Mitglied der Initiativgruppe zur demokratischen Erneuerung der Universität und drei Jahre lang kommissarische Direktorin des CLI.

Prof. Dr. rer. nat. habil. Alfred Göpfert (*30.03.1934, t22.01.2023 beides in Leipzig) hat in Leipzig Mathematik studiert und auf dem Gebiet Analysis, partielle Differentialgleichungen promoviert und habilitiert. 1974 wurde er zum Professor für Analysis und Optimierung an die Technische Hochschule „Carl Schorlemmer” Leuna-Merseburg berufen. Als ihr letzter Rektor war es von Ende 1992 bis 1993 seine Aufgabe, sie abzuwickeln. Ein Teil wurde in die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) integriert. Dort war Göpfert bis zu seiner Emeritierung 1999 Professor für „Konvexe Analysis und Optimierung“ am Fachbereich Mathematik und Informatik.

Von Werten geleitet

Ungewöhnlich für die DDR-Zeit ist Alfred 1974 nach Merseburg berufen worden, ohne in der Partei zu sein. „Bei ihm kam fachliches Know-how mit einer gewinnenden Persönlichkeit zusammen. Aber beide wollten sich nicht vereinnahmen lassen und das ist ihnen auch gelungen. Ich habe nichts in DDR-Akten gefunden. Nicht alle sind auf den obersten Barrikaden unterwegs gewesen. Sie waren eben Vollblutwissenschaftler, haben Leute zusammengebracht, Austausch gefördert. Er hat in den 1980er Jahren durchgesetzt, dass eine Kollegin mit einem taubblinden Kind, das nicht in die Betreuung gehen konnte, von zu Hause aus promovieren konnte. Das war etwas Großes in der Zeit.“

Nach der Friedlichen Revolution war Edith Mitglied der Initiativgruppe zur demokratischen Erneuerung der Universität Leipzig. Beide waren in den Umbruch- und Aufbaujahren als politisch Unbelastete gefragt und zur Stelle. Er hat als Rektor die Hochschule Merseburg abgewickelt und auch das Archiv nach Halle übertragen, sie wurde 1995 in Leipzig auf eine Professur berufen. „Schwierige Umstände. Es war wohl für sie als Frau und Hirnforscherin nicht vorgesehen, dass sie die Institutsleitung permanent übernimmt.“

Das allmähliche Verschwinden

Werner erinnert einen Besuch im Institut, bei dem sie ihre Tante, die Vollblutwissenschaftlerin, stets elegant mit Perlenkette, im Labor antraf, wie sie ihrer Sekretärin Elektroden ansetzte, um die Hirnströme zu messen. „Bittere Ironie und Tragik, dass nun gerade sie die Alzheimer-Krankheit ereilte.“ Sie starb im April 2024 und überlebte Alfred um gut ein Jahr.

Die von Werten geleitete, menschlich zugewandte Haltung scheint beider Leben bestimmt zu haben. Im Nachruf vom Tanzclub aus dem Jahr 2023 kommt zum Ausdruck, dass Alfred Göpfert ein Vorbild war für Fairness, Respekt, Freundlichkeit, Zusammenhalt und Disziplin. Dazu passt, dass sogar auf seinem Nachttisch im Krankenhaus nochmals korrigierte Seiten seines eigentlich fertigen letzten Buches lagen. Er musste sich einer Operation unterziehen und verstarb danach. Anders als Edith brauchte er für seine mathematischen Formeln kein Labor, sondern konnte selbst im Krankenhaus noch weitermachen.

So lange es ging bestand immer eine tiefe Verbundenheit der beiden zur Stadt, zur Universität und ihren Entwicklungen. Sie haben die Geschichte ihrer jeweiligen Fachrichtungen nicht nur verfolgt, sondern mit gestaltet, sind später über Alumni-Treffen und Uni-Ausstellungen verbunden geblieben. Über 55 Jahre als Paar.

PD Dr. phil. Anja Werner ist Nichte des Ehepaars und auch Alumna der Universität Leipzig. 2002 Magister in Amerikanistik und Französistik mit Schwerpunkt Kulturgeschichte, 2006 in Leipzig promoviert in transatlantischer US-Geschichte über amerikanische Studierende in Leipzig im 19. Jahrhundert. Heute ist sie Wissenschafts- und Globalhistorikerin an der Universität Erfurt und leitet die DFG-Forschungsgruppe „Gehörlosengeschichte“. Sie forscht derzeit unter anderem über Berta Foster, eine gehörlose Missionarin, die mit ihrem Mann, dem ebenfalls gehörlosen afroamerikanischen Missionar Andrew Foster, in 13 afrikanischen Ländern mehr als 30 Schulen und Kirchen für Gehörlose gründete. 

 

Alumni-Netzwerk

Verbunden bleiben – Wissen weitergeben – Zukunft mitgestalten. Unter diesem Motto steht das Alumni-Netzwerk LEIPZIG ALUMNI. Alumnae und Alumni haben an unserer Alma mater studiert und damit auch ihre Geschichte miterlebt und mitgestaltet – wir laden sie daher ein, mit uns in Kontakt zu bleiben und das Leben an unserer Universität Leipzig aktiv zu begleiten!

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