Nachricht vom

Seit rund neun Monaten werden am Studienkolleg Sachsen Studierende, die vom Krieg in der Ukraine betroffen sind, sprachlich auf ein Studium in Deutschland vorbereitet. Wir haben mit ihnen über Lernfortschritte, ihren Alltag in Leipzig und ihre Wünsche für die Zukunft gesprochen.

Valeriia Lokaienko
Alter: 18
Studentin aus Kiew

Valeriia studiert in Kiew seit drei Semestern Tourismus. Während viele ihrer Studienfreund:innen noch in der ukrainischen Hauptstadt sind, entschied die 18-Jährige, nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine mit ihrem Freund und dessen Mutter nach Leipzig zu fliehen. Zu dritt wohnen sie in einer Wohnung im Leipziger Stadtteil Lößnig. Valeriias Eltern und ihr kleinerer Bruder sind in der Ukraine geblieben.

Seit Mai 2022 lernt Valeriia am Studienkolleg Deutsch und nimmt parallel weiterhin online ihr Studium in Kiew wahr. Die Doppelbelastung bringt sie oft an ihre Grenzen. So schaltete sie sich beispielsweise für eine mündliche Tourismus-Prüfung aus der Leipziger Straßenbahn zu. Im Sprachkurs konnte sie bislang viele neue Freundschaften schließen. Während sie mit den anderen Ukrainer:innen am Studienkolleg in ihrer Muttersprache kommuniziert, versucht sie, in ihrem Alltag in Leipzig ihr gelerntes Wissen so oft es geht anzuwenden. Für die Mutter ihres Freundes fungiert sie beispielsweise beim Einkaufen oft als Übersetzerin und kann so gute Lernfortschritte machen.

Nach dem Studienkolleg würde Valeriia gern Geographie an der Universität Leipzig studieren. Aktuell ist sie aber noch unsicher, ob ihr deutsches Sprachniveau dafür ausreichend ist. Ihr Wunsch ist es, sowohl einen ukrainischen als auch einen deutschen Hochschulabschluss zu machen. Vor allem das Thema Stadtplanung findet sie dabei sehr interessant. Ihrer Meinung nach könnten vertiefte Kenntnisse auf dem Gebiet später dabei helfen, die Städte in der Ukraine wieder neu mit aufzubauen.

Veronika, Studentin aus der Ukraine in Leipzig, berichtet

Veronika Ivanchenko
Alter: 20
Studentin aus Kiew

Veronika studiert in Kiew seit 2019 Psychologie, Soziologie und Organisationsökonomie. Neben dem Deutschkurs am Studienkolleg nimmt sie an den Vorlesungen ihres ukrainischen Studiums digital teil. Nachdem ihre Mutter bereits im Februar 2022 nach Leipzig kam, folgte ihr die 20-Jährige rund einen Monat später. Gemeinsam arbeiteten sie zu Beginn als Minijobber. Veronikas Mann ist aktuell als Pilot am Leipziger Flughafen tätig. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Mutter kann sich Veronika vorstellen, auch langfristig in Leipzig zu bleiben. Sie begründet das mit der Tatsache, dass Deutschland ihrer Meinung nach im Hinblick auf den technologischen Fortschritt besser aufgestellt sei als die Ukraine.

Im Deutschkurs hat sich Veronika gut eingefunden und war überrascht, dass das Erlernen der Sprache gar nicht so schwer ist, wie sie zu Beginn dachte. Vor allem die Professionalität ihrer Lehrkräfte beeindrucken die Ukrainerin. Ihre Deutschkenntnisse kann sie bereits sehr gut in ihrem Leipziger Leben anwenden. Nur in der Arbeitsagentur, die sie zu Beginn öfter besuchen musste, hatte sie große Schwierigkeiten, sich zu verständigen und die Masse an auszufüllenden Papieren zu bewältigen. Im Mai dieses Jahres plant sie, ihr Bachelorstudium in der Ukraine abzuschließen und würde dann gern ab dem Wintersemester ein Studium an der Universität Leipzig aufnehmen – bevorzugt den Master in Psychologie.

Belhassen, Student aus der Ukraine in Leipzig, berichtet

Belhassen Oueslati
Alter: 20

Tunesischer Student aus Charkiw

Der Tunesier Belhassen entschied, nach seinem Abitur in der Ukraine zu studieren. Nachdem er in Charkiw für sieben Monate im Bachelorstudiengang Computer Science lernte, schlug im März 2022 direkt vor seinem Studentenwohnheim eine Rakete ein. Auf seinem Handy zeigt uns Belhassen mehrere Bilder von Raketen, die er in seinem unmittelbaren Wohnumfeld machte. Nach dem starken Beschuss Charkiws existiert weder seine ehemalige Wohnung noch seine damalige Universität. Aktuell versucht er, per E-Mail an wichtige Studienpapiere zu gelangen – bislang erfolglos.

Hinter Belhassen liegt eine sehr anstrengende Flucht nach Leipzig. Er berichtet uns von Massenschlägereien am Bahnhof in Charkiw aufgrund vollkommen überfüllter Züge, blutig gelaufenen Füßen und dem dreimonatigen Aufenthalt in einer Leipziger Flüchtlingsunterkunft im Frühjahr 2022.

Irgendwann zurück in die Ukraine zu gehen, ist für ihn keine Option. Ob er weiterhin hier in Leipzig bleiben kann, ist jedoch aktuell nicht sicher. Für ein Visum zum Zweck des Studiums muss Belhassen auf einem Sperrkonto eine fünfstellige Summe vorweisen können. Das ist mit ein Grund dafür, warum er neben dem studienvorbereitenden Deutschkurs bei Amazon arbeitet. Die Arbeit ist körperlich sehr anstrengend für ihn und bringt ihn an seine Belastungsgrenze. Er empfindet es als ungerecht, dass er im Hinblick auf seine Aufenthaltsgenehmigung anders behandelt wird, als die gebürtig aus der Ukraine stammenden Menschen, die ebenfalls aus ihrem Land geflohen sind.

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Ihr Kommentar

Hinterlassen Sie gern einen Kommentar. Bitte beachten Sie dafür unsere Netiquette.