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Zum Tag der Promotion am 15. November 2023 ging es in der Abendveranstaltung um das Thema „Karriere in der Wissenschaft: Promovierende und Postdocs zwischen Unsicherheit und Perspektiven“. Prof. Dr. Roger Gläser, Prorektor für Talententwicklung der Universität Leipzig, betonte: „Im Sinne von Verlässlichkeit, Transparenz und Perspektiven für die Zukunft müssen wir etwas für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun.“ Dr. Jan Wöpking, Geschäftsführer des Verbunds German U15, mahnte eine „Kulturveränderung“ an.

In einer Fishbowl-Diskussion mit einem freien Platz für diskussionsfreudige Gäste tauschten sich Prof. Gläser und Dr. Wöbking mit Erik Wolf, ver.di-Gewerkschaftssekretär im Bereich Bildung und Wissenschaft, sowie Johanna Kuske, Promovierendenvertreterin von UniWiND aus, dem Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland. Die Runde machte einen großen Rundumschlag über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft, Promovierenden- und Abbrecherzahlen, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), Machtmissbrauch und die Erwartungen an Wissenschaftler:innen, Hochschulleitungen, die Länder und den Bund.

Die Villa Tillmanns war hell erleuchtet an diesem Abend, zu dem die Graduiertenakademie Leipzig zahlreiche Promovierende, Postdocs und Professor:innen willkommen hieß, um nach der Verleihung des Supervisor Awards an Prof. Dr. Holger Kohlmann für eine exzellente Betreuung Promovierender in eine Diskussion um die berufliche Zukunft genau dieser Gruppe zu starten. Dr. Thomas Kuhnt vom Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft führte als Moderator mit Zahlen in die Debatte ein: In den letzten 25 Jahren hat sich die Anzahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen an deutschen Hochschulen zwar verdoppelt, die Anzahl der erfolgreichen Promotionen stagniert jedoch. Der Anteil der Nichtpromovierten beträgt 64 Prozent.

„Es ist ein harter Weg durch die Promotion“

Johanna Kuske

Diese Zahlen seien so nicht ganz auf die Universität Leipzig übertragbar, denn die Zahl der erfolgreich beendeten Promotionen nehme zu, betonte zunächst Prof. Gläser und erläuterte seinen Ansatz, „in den unterschiedlichen Fächerkulturen dazu zu motivieren, in den Promotionsordnungen mehr Verlässlichkeit einzubauen, sodass wir so etwas wie Promotionserfolg haben können“.

Immer wieder kam die Debatte auf die Arbeitsbedingungen und Anstellungsverhältnisse von Promovierenden und Postdocs. „Wir alle brauchen im Schnitt sechs Jahre, um fertig zu werden“, stellte Johanna Kuske für ihren Bereich der Organisationspsychologie an der Universität zu Köln klar. Sie berichtete von einem gestiegenen Anspruch an Promotionen, von Publikationsdruck und von einem „harten Weg durch die Promotion“, den viele gehen müssten. Der Beitrag einer Leipziger Promovendin in den Lebenswissenschaften, die in die Fishbowl-Diskussion mit einstieg, führte allen Anwesenden sehr eindrücklich vor Augen, in welcher finanziellen Not sie sich mit einer halben Stelle für eine Arbeitswoche von bis zu 60 Stunden unter den aktuell steigenden Lebenshaltungskosten befindet und wie hoch der Druck sein kann, der auf Promovierenden mitunter lastet.

„Promotion ist auch Arbeit, Lohnarbeit,“ betonte ver.di-Mitglied Wolf und wies darauf hin, dass auch Promovierende mit einer Stelle an der Universität sich in einem Angestelltenverhältnis befänden. Dass viele, vor allem internationale Promovierende, ihre Recht nicht kennen würden, sich eingeengt fühlten und regelrecht Angst hätten, konstatierte Kuske.

„Machtmissbrauch ist ein zentrales Thema.“

Dr. Jan Wöpking

Die Diskussionsrunde war sich einig, dass Machtmissbrauch im Wissenschaftssystem ein immer deutlicher wahrgenommenes Problem darstellt. Erik Wolf sprach von einem „doppelten Abhängigkeitsverhältnis zwischen den betreuenden Personen und den Promovierenden“. „Machtmissbrauch ist ein zentrales Thema. Es ist ein dickes Brett zu bohren, aber es gibt eine Bewegung“, stellte Wöpking fest. Er führte als Lösungsbeispiel das akademische System in Großbritannien an, in dem die Bewertung von Qualifikationsarbeiten getrennt sei von der Betreuung.  Eine „Entkrustung von Strukturen“ sei nötig, gab Prof. Gläser zu und illustrierte dies durch die kontinuierlich steigende Zahl an Ombudsverfahren. Unter anderem durch einen Whistleblower-Schutz über anonymisierte Online-Formulare zur Meldung von Missbrauchsfällen oder einem Führungskräftetraining zur Sensibilisierung von Betreuenden könne dem Thema konkret begegnet werden.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Johanna Kuske in der Diskussion
Johanna Kuske, Promovierendenvertreterin von UniWiND, dem Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland, berichtete von einem gestiegenen Anspruch an Promotionen, von…

Die Rolle und Ausgestaltung eines novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetztes (WissZeitVG) stellte einen weiteren kontrovers diskutierten Themenblock dar. Dr. Wöpking berichtete von seinem Eindruck, dass ins WissZeitVG viel Hoffnung gesteckt werde, die vorhandenen Probleme in der Wissenschaft zu lösen. „Das kann kein Bundesgesetz regeln, das muss die Wissenschaft selbst regeln“, stellte er jedoch klar und sprach von einer „heillosen Überfrachtung eines Gesetzes, das nur Befristungsmöglichkeiten regelt.“

Aus Prof. Gläsers Sicht müsse darüber diskutiert werden, dass es Gründe gibt, überhaupt Anstellungen zu befristen und zu klären, worin eine wissenschaftliche Qualifizierung überhaupt bestehe und mit welchem Stellenanteil sie finanziert werden solle. Dies werde beispielsweise in der Deutschen Forschungsgemenschaft (DFG) sehr kontrovers und bisher erfolglos diskutiert. „Ich hätte kein Problem damit, wenn es das Gesetz nicht gäbe“, machte Wolf seine Position deutlich und stellte in Aussicht, dass dann die Gewerkschaften die Fragen zur Befristung direkt klären könnten und sich so die Bedingungen verbessern würden. Dabei verwies er auf den tags zuvor durchgeführten Streik mit 800 Teilnehmenden in Leipzig.

Auf die große Bandbreite an Finanzierungs- und Anstellungsmöglichkeiten Promovierender wiesen einzelne zur Fishbowl dazu gestoßene Teilnehmer:innen hin. Prof. Dr. Holger Kohlmann berichtete so beispielsweise, dass in seinem Bereich der Naturwissenschaften der überwiegende Teil der Doktorand:innen drittmittelfinanziert sei und dort „das WissZeitVG nichts Gutes getan hat und in vielen Fällen verhindert hat, dass überhaupt Stellen zustande kommen“.

Abschließend stellte Dr. Wöpking fest, dass eine „Kulturveränderung“ nötig sei. „Im Sinne von Verlässlichkeit, Transparenz und Perspektiven für die Zukunft müssen wir etwas für den wissenschaftlichen Nachwuchs tun“ und gemeinsam reden, betonte Prorektor Gläser. Kuske strich heraus, dass das Narrativ, des „harten Pflasters“ der Wissenschaft, „in dem man besonders tough sein muss“,  überdacht werden müsse, um langfristig Talente zu halten.

Kommentare

  • Anonymer Doktorand,

    Schade, ich habe diese Diskussionsmöglichkeit leider verpasst. Ich hätte aber vermutlich eh keine Zeit gefunden, denn ich muss mit meinem am Ende des Jahres auslaufenden Vertrages (der dieses Jahr allein 3x verlängert wurde) noch meine Dissertation fertigstellen und einreichen.

    Und ganz ehrlich, dann sieht mich das akademische System auch vermutlich nie wieder. Ich bin nach meiner Zeit als Promovierender so illusioniert und das, obwohl mir Forschen immer noch viel Spaß macht. Aber die Arbeit auf einer halben Stelle, mit zahlreichen unbezahlten Überstunden und befristeten Verträgen, zeigt mir einfach keine Perspektive auf, gerade wenn es um Lebens- oder gar Familienplanung. Und in der Hinsicht scheint das PostDoc-Leben noch bescheidener zu sein.

    Nein, vielen Dank, ohne mich.

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