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Die Universität Leipzig ist von Prager Magistern und Scholaren gegründet worden. Aber aus Prag kamen nicht nur Böhmen und Deutsche, sondern auch schlesische, preußische und livländische Akademiker nach Leipzig. Diese Landsleute gründeten in Leipzig eine starke und einflussreiche Korporation – die Polnische Nation. Wie sie die Universitätsverhältnisse dominierten, zeigte schon die Rektorwahl von 1409: erstes Oberhaupt der Universität wurde Johannes Otto (1360-1416) aus Münsterberg (in Niederschlesien).

Johannes Otto war ein kluger und weitsichtiger Mann, der die Gründung in Leipzig inspiriert hatte und sein eigenes Vermögen testamentarisch als Stiftung an die Universität gab. Diese Stiftung, das Schlesische Kolleg oder auch Liebfrauenkolleg, finanzierte in den folgenden Jahrhunderten immerhin fünf Professorenstellen nach dem Herkunftsprinzip. Vier Dozenten mussten in Schlesien geboren sein, ein Professor durfte aus Preußen stammen. Diese Finanzierung garantierte eine starke Bindung und hohe Attraktivität der Universität in Richtung Osten. Das Schlesische Kolleg kaufte bald ein Haus, bot Wohnquartiere für Studenten an und wurde durch weitere Zustiftungen immer vermögender. Für die Polnische Nation bildete das Kolleg über Jahrhunderte hinweg ein fester Anlaufpunkt für alle osteuropäischen Studenten und Akademiker. Die Zugehörigkeit zur Polnischen Nation war ein attraktives Element: sie bot Anerkennung, Geborgenheit, Versorgung, Privilegien, finanzielle Hilfen und akademischen Aufstieg. Die zahlreichen „Fremden“, in dem Falle Mähren, Ungarn, Preußen, Schlesier, Böhmen, Livländer und Rusländer waren ein stabilisierendes Element der akademischen Gemeinschaft, sie standen und stehen für überregionale Ausstrahlung und Attraktivität der Universität. Zu den bekannteren Namen zählen der Historiker Jan Dlugosz aus Radomsko (immatrikuliert 1445) oder der Dichter Alexander Radischtschew aus Moskau (immatrikuliert 1766).

Das Ende der Nationenverfassung, per königlichem Reskript im März 1830 von Dresden aus der Universität verordnet, fand unter den Leipziger Akademikern wenig Anklang. Noch schlimmer: der Staat nahm sich dabei das Vermögen der Polnischen Nation: Wertpapiere, Immobilien und gut 3900 Thaler Bargeld wurden vom Staatsfiskus beschlagnahmt. Die Universität war von der selbstverwalteten Korporation zur Staatsanstalt geworden und der akademische Bürger wurde nun mehr und mehr zum Staatsbürger.

Fast zeitgleich mit dem Ende der universitären Nationenverfassung wurden Polen an der Universität zu einem politischen Dauerthema der nächsten zwei Jahrzehnte. Der Warschauer Novemberaufstand von 1831 und der folgende russisch-polnische Krieg führten zu einer enthusiastischen „Polenschwärmerei“ und zur emotionalen Unterstützung des nationalen Freiheitskampfes. Von Leipzig breiteten sich Polenvereine aus und Komitees zur Unterstützung der polnischen Flüchtlinge entstanden. Ludwig Mosen, ein junger Rechtsanwalt aus Kohren-Sahlis und Leipziger Absolvent (in Leipzig immatrikuliert 1825), schrieb den Text zu dem damals populärsten Freiheitslied:  Die letzten Zehn vom vierten Regiment.

Polnische Militäruniformen prägten die Mode in der Studentenschaft. Als Ausweis einer freiheitlichen Gesinnung trugen Studenten nun statt des altdeutschen Rockes vielerorts Schnürröcke und Pekeschen, das Haupt zierte eine Konfederatka – eine viereckige Polenmütze. Der Leipziger Corpsstudent Richard Wagner (in Leipzig immatrikuliert 1831) wurde ebenfalls von dieser Freiheitsliebe inspiriert und komponierte seine „Polonia“, eine Konzertouvertüre.

Die Polendebatte an der Universität veränderte sich nach 1844 in eine gänzlich andere Richtung. Als einer der ersten Antislawen wandte sich der aus Schlesien stammende Leipziger Historiker Heinrich Wuttke (1818-1876), der Polenfrage zu und forderte eine Vertreibung der Polen aus den preußischen Provinzen. Einer seiner Hörer wiederum, der sorbische Student Karl August Mosig, gründete 1841 dagegen den kurzlebigen Academischen Slawenverein.

Obwohl es seit 1831 keinen polnischen Staat mehr gab und somit nur Österreicher, Russen oder Preußen die Universität Leipzig bezogen, spricht die Universitätsmatrikel eine andere Sprache. Zwischen 1833 und 1909 gaben 214 Studenten an, in Warschau geboren worden zu sein und mehr als die Hälfte davon schreibt als Herkunftsland „Polen“ in die Matrikel.

Von der Universität Krakau aus kommt die studentische Idee der Bratnia Pomoc, polnischer Unterstützungsvereine, nach Leipzig: 1872 wird an der Universität der Verein polnischer Studenten gegründet, der auch den Unterstützungsverein betreibt. Vorsorglich werden Debatten über Politik und Theologie im Verein ausgeschlossen. Doch die interessante Frage blieb: Wer ist eigentlich Pole?

Dr. Jens Blecher

 

Kommentare

  • Kommentar von Redaktion, 6.5.2022, 10:32 Uhr
    Vielen Dank für Ihre Kommentare und Anregungen. Wir nehmen sie gern auf und besprechen uns innerhalb der Redaktion, inwiefern wir in einem weiteren Artikel daran anknüpfen können.
    Viele Grüße aus der Medienredaktion.
  • Kommentar von Stephan Thomas, 4.5.2022, 20:28 Uhr
    Danke für die stets spannenden Artikel aus dem Archiv! Tatsächlich würde mich auch die Idee der Universitätsnationen interessieren - wäre das nicht Stoff für einen weiteren Artikel? Ich würde das begrüßen und fände das spannend!
    Dieses Konzept der Universitätsnation scheint ja ein anderes Konzept zu sein als das der Nationim 19. Jahrhundert oder später.

  • Kommentar von Henrike Böhm, 4.5.2022, 11:32 Uhr
    Danke für den interessanten Beitrag! Eine kurze Erläuterung zur Polnischen Nation als Universitätsnation (was ist das?) wäre aus meiner Sicht hilfreich für das Verständnis zum Einstieg.

 

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