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Vor rund acht Monaten starteten am Studienkolleg Sachsen drei zusätzliche studienvorbereitende Deutschkurse für Studierende, die vom Krieg in der Ukraine betroffen sind und hier ein Studium fortführen möchten. Im kommenden Frühjahr könnte bereits der erste Teil von ihnen die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) absolvieren, um sich anschließend für einen Studienplatz zur Fortsetzung des Studiums bewerben zu können. Die Leiterin des Studienkollegs Maxi Kupetz beeindruckt, welche Willenskraft die jungen Menschen mitbringen. Stefanie Kölling von der Stabsstelle Internationales (SI) berät Geflüchtete zu Möglichkeiten der Weiterführung ihres Studiums. Über Willenskraft und Durchhaltevermögen berichten beide im Interview mit dem Universitätsmagazin und blicken voraus: Sie rechnen mit einer steigenden Nachfrage von studieninteressierten Geflüchteten nach vorbereitenden Deutschkursen sowie dem Bedarf einer finanziellen Absicherung dieser Angebote.

Wie haben sich Ihre Aufgaben seit dem Kriegsausbruch am 24. Februar 2022 verändert?

Maxi Kupetz: Offiziell habe ich meinen Dienst als neue Leiterin des Studienkollegs zum 1. März 2022 aufgenommen. Das Schaffen zusätzlicher studienvorbereitender Deutschkurse als Reaktion auf den Beginn des Kriegs gegen die Ukraine bestimmte meinen Start hier sehr. Es war ein absolutes „ins kalte Wasser springen“. Meine ersten Arbeitswochen waren davon geprägt, in Videokonferenzen zu sitzen und mit Menschen der Universität Leipzig, der Stadt Leipzig, der sächsischen Hochschulen und des SMWK zu überlegen, was man jetzt schnellstmöglich tun kann. Das war für mich auch auf gewisse Weise sehr dankbar, denn ich habe gemerkt, dass es bereits seit 2015/16 Strukturen gibt, die nun zusätzlich ausgebaut werden konnten. Innerhalb von acht Wochen habe ich mit unglaublich vielen unterschiedlichen Akteur:innen zu dem Thema gesprochen – viele dieser Gespräche hätte ich ohne diese besondere Situation sicher erst innerhalb eines Jahres oder überhaupt nicht geführt.

Herausfordernd war in dieser Zeit, den normalen Lehrbetrieb der Studienvorbereitung, der bei uns im März beginnt, nicht aus den Augen zu verlieren. In jedem Semester starten wir mit sechs Gruppen verschiedener fachlicher Schwerpunktkurse. Gleichzeitig musste ein Fokus natürlich sehr stark auf dem Thema „Folgen des Kriegs gegen die Ukraine“ liegen. Allein an der Universität Leipzig gab es knapp 3000 Anfragen nach Studienmöglichkeiten. Und wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann finde ich es auch ganz schön toll, dass wir das alles so geschafft haben. Am 10. März 2022 gab es den Rektoratsbeschluss und acht Wochen später am 12. Mai 2022 ging es hier los mit neuen Lehrkräften und drei zusätzlichen Sprachkurs-Gruppen.

Stefanie Kölling: Mein Schreibtisch hat sich tatsächlich gar nicht so sehr verändert, denn ich berate nach wie vor internationale Masterstudierende hinsichtlich ihres Einstiegs in das Studium und organisiere gemeinsam mit meinen Kolleginnen der Stabsstelle Internationales Deutschkurse für Geflüchtete, die beim interDaF e.V. und dem Studienkolleg stattfinden. Diese Angebote bestehen bereits seit 2015/16, als das Thema Deutschkurse für diese Zielgruppe das erste Mal aufkam. 2018 wurde dabei der Peak der Nachfrage und Kapazitäten erreicht. Mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine standen wir jedoch erneut vor der Herausforderung, die Angebote, welche in den letzten Jahren von finanziellen Kürzungen betroffen waren, innerhalb kürzester Zeit kapazitär zu erhöhen.

Anfangs kam jeden Monat ein neues Problem hinzu – beispielsweise gab es auch sehr viele minderjährige Ukrainer:innen, denen wir Fragen zur Schulpflicht beantworten sollten, wobei wir selbst erst herausfinden mussten, was es dabei zu beachten gibt.

Stefanie Kölling

Dass das Aufstellen der Vorbereitungskurse so schnell ging, war in diesem Zusammenhang wirklich super und lag daran, dass viel Leute auf verschiedenen Ebenen sehr gut und effizient miteinander gearbeitet haben und wir auf unseren bestehenden Strukturen schnell aufbauen konnten. Trotzdem taten sich neue Herausforderungen im Hinblick auf die Zielgruppe auf, denn die Ukrainer:innen haben mit §24 AufenthG  einen zuvor noch nie in diesem Umfang bedienten Aufenthaltstitel. Damit verbunden sind unterschiedliche Möglichkeiten der Finanzierung, der Lohnarbeit und des Wohnortwechsels. Diese Punkte wurden erst schrittweise geklärt. Zu Beginn der Kurse war beispielsweise lange Zeit nicht klar, ob sie beim Jobcenter Geld bekommen würden oder befähigt sind, BAföG zu erhalten. Anfangs kam jeden Monat ein neues Problem hinzu – beispielsweise gab es auch sehr viele minderjährige Ukrainer:innen, denen wir Fragen zur Schulpflicht beantworten sollten, wobei wir selbst erst herausfinden mussten, was es dabei zu beachten gibt.

Was sind aus Ihrer Sicht die drei größten Herausforderungen dabei? 

Maxi Kupetz: Ich glaube tatsächlich, dass die größte Herausforderung für mich ist, alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bekommen. Bei den Lernenden müssen die individuellen Situationen berücksichtig werden: Wie war ihr Weg bisher, wie ist die Perspektive? Zunächst dachte ich noch, das Schaffen allgemeiner Strukturen wäre die Lösung, aber für die Lernenden selbst und deren Lebens- und Bildungswege gibt es nicht den einen Plan, sondern es muss jeweils ein individuell zugeschnittener Plan entwickelt werden. Dann ist da aber auch die Situation der Lehrenden. In den Sprachkursen haben wir befristet Beschäftigte, bei denen nicht klar ist, wie es weitergehen wird. Nicht zuletzt sind auch die Verwaltungsaufgaben viel mehr geworden, die Stellenaufstockungen sind jedoch – Stand heute – nicht weiterfinanziert, so dass uns ab Januar 20 Stunden Studienorganisation wegbrechen. Bei aller Euphorie und der Tatsache, dass es zügig los ging mit den Deutschkursen im Frühjahr, müssen die Lehr- und Beratungsangebote und die Verwaltungsaufgaben nun mittel- und langfristig durchgehalten werden. Für 2023 ist die Perspektive unsicher – und es ist für uns alle nicht leicht, das auszuhalten.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Schild hängt an der Tür zum Hörsaalgebäude mit der Aufschrift "Deutsch-Kurse" auf Deutsch und Englisch.
Die Universität Leipzig bietet Deutschkurse für vom Ukraine-Krieg betroffene Studierende an, Foto: Lina Hörügel

Für die Lernenden selbst und deren Lebens- und Bildungswege gibt es nicht den einen Plan, sondern es muss jeweils ein individuell zugeschnittener Plan entwickelt werden.

Maxi Kupetz

Stefanie Kölling: Das ist ein ziemlich wichtiges und großes Problem. In der Arbeit mit Geflüchteten, wo viele denken „das ist irgendwann ja auch mal vorbei“, zu verstehen, dass das eben nicht der Fall ist. Die Prognosen gehen aktuell leider nicht dahin, dass der Krieg in der Ukraine schnell vorbeigehen wird, was bedeutet, dass weiterhin Menschen zu uns flüchten und hier Deutsch lernen werden und auch ins Studium einsteigen möchten.

Maxi Kupetz: Ja, auf jeden Fall. Wie wir an den Anfragen in diesem Jahr sehen konnten, ist absehbar, dass die Schüler:innen, die in diesem Jahr in der Ukraine ihren Schulabschluss gemacht haben und gerade Deutsch lernen, im kommenden Jahr wahrscheinlich ins Studienkolleg müssen. Die jungen Menschen sind schon da und deshalb braucht es Lösungen für eine strukturierte Studienvorbereitung.

Stefanie Kölling: Was erschwerend hinzukommt, ist, dass diese Gruppe einen sehr dynamischen Bildungshintergrund aufweist. Die Universitäten in der Ukraine funktionieren weiterhin digital, was neu für uns ist, denn es bedeutet, dass die Studierenden kontinuierlich ihre Kurse fortführen und dadurch auch Abschlüsse bekommen. Wenn demnach beispielsweise noch im Mai eine Person aus der Ukraine unsere Sprechzeit aufsuchte, die in einen Schwerpunktkurs musste, hat sie eventuell nun ihre Semester in der Ukraine erfolgreich beendet und kann sich deshalb unter Umständen bereits für einen Master bewerben. Das ist eine vollkommen neue Situation für uns, die gleichzeitig natürlich auch eine Doppelbelastung für das Deutschlernen auf Seiten der geflüchteten Personen aus der Ukraine mit sich bringt.

Maxi Kupetz: Ja, die Leistungsbereitschaft ist wirklich beeindruckend. Manche Deutschkursteilnehmenden sitzen hier im Unterricht und haben parallel ihren Rechner offen, weil nebenbei in der Ukraine Lehrveranstaltungen laufen. Einige von ihnen fahren zwei Stunden pro Tag, um an diesem Sprachkurs teilzunehmen, weil die studienvorbereitenden Sprachkurse ja nicht so breit gestreut sind. Sie nehmen wirklich unglaublich viel auf sich, um in diesem Kurs möglichst erfolgreich zu sein.

In einer Situation, in der es darum geht, internationale Fachkräfte zu gewinnen, ist langfristige Strukturbildung zur Studienvorbereitung ein wichtiges Aufgabenfeld.

Maxi Kupetz

Stefanie Kölling: Nicht zu vergessen dabei sind auch die Drittstaatler:innen, die aus der Ukraine hierhergekommen sind und die als zusätzliches Problem das Thema „Finanzierung und Aufenthalt“ haben. Bei ihnen ist teilweise unsicher, ob sie in ein paar Monaten oder vielleicht schon nächsten Monat wieder gehen müssen. Sie schaffen es nicht, ein Visum zu beantragen, da sie das finanzielle Polster als Voraussetzung dafür nicht vorweisen können. Das ist für diese Gruppe ein enormer Druck, der in den Kursen auf ihnen lastet, denn unter den unsicheren Bedingungen der Bleibeperspektive zu lernen, ist alles andere als einfach.

Welcher Moment im Hinblick auf Ihre Arbeit mit den Ukrainer:innen hat sie besonders berührt und warum?

Maxi Kupetz: Was mich in diesem Sommer wirklich gepackt hat war, als den Lernenden langsam klar wurde, dass ihre Situation nicht so schnell vorbeigehen wird, wie sie zu Beginn vielleicht dachten. Als sie merkten, dass sie wohl auch im Herbst und wahrscheinlich sogar im nächsten Jahr immer noch hier sitzen werden. Das war eine Phase der Ernüchterung, in der ihnen bewusste wurde, dass sie sich hier wirklich Perspektiven aufbauen und Entscheidungen für ihren zukünftigen Lebensweg treffen müssen. Diese Ambivalenz zwischen „ich will in die Ukraine zurück und dort alles wieder aufbauen“ und gleichzeitig das „ich brauche eine Perspektive, einen Job und will in Sicherheit leben“ ist schwer auszuhalten.

Stefanie Kölling: Man versucht, das ganze Emotionale immer etwas von sich fernzuhalten, aber trotzdem ist es nicht immer möglich. Wir bekommen beispielsweise E-Mails, dass Ukrainer:innen hier zum Studium zugelassen wurden, sie aber jetzt das Land nicht verlassen können, weil sie sonst vom Militär eingezogen werden. Das sind Situation, in denen man weiß, dass man einfach machtlos ist. Man kann da nichts tun. Gleichzeitig habe ich leider das Gefühl, dass es irgendwie nicht besser wird, weil es mehr und mehr Krisenherde gibt, die sich auftun. Wir bekommen mittlerweile auch drastische E-Mails aus Afghanistan und seit Neustem auch aus dem Iran. Uns wird langsam klar, dass das von nun an wohl so bleiben wird, auch über die Ukraine hinaus. Es gibt immer wieder neue Personengruppen, die unsere Hilfe brauchen. Dabei müssen wir für alle denken und dürfen keine Unterschiede machen bei den Geflüchteten, denn sie müssen alle in die Strukturen eingebettet werden.

Maxi Kupetz: Genau darum geht es im Endeffekt. In einer auf Zuwanderung ausgerichteten Gesellschaft ist die Universität dafür zuständig, Bildungswege für alle Menschen zu schaffen. Und in einer Situation, in der es darum geht, internationale Fachkräfte zu gewinnen, ist langfristige Strukturbildung zur Studienvorbereitung ein wichtiges Aufgabenfeld. Weil eben viele internationale Studieninteressierte für den Beginn einer studentischen Laufbahn in Deutschland studienvorbereitende Sprachkurse benötigen, ist die langfristige finanzielle Absicherung von Lern- und Beratungsangeboten essenziell. Eine finanzielle Absicherung wäre für alle Beteiligten gut: Für die Lernenden, die Lehrenden und das Verwaltungs- und Beratungspersonal. Wie wir gerade erläutert haben, ist es eine Arbeit, die einen anfasst, und wenn diese unter prekären Arbeitsbedingungen geleistet werden muss, dann ist das nicht in Ordnung. 

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