Nachricht vom

Wie entwickelt sich die CO2-Konzentration in einem kirchenähnlichen Gebäude wie dem Paulinum während einer Chorprobe? Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig und der TU Freiberg haben das Phänomen in Zeiten der Pandemie untersucht und wollen nun Handlungsempfehlungen für den Universitätschor aber auch für Kirchenchöre daraus ableiten. 

Bereits zu Schulzeiten hat Lennart Pieper viel musiziert, eine klassische Gesangsausbildung absolviert und als Solist im Fach Countertenor zahlreiche Konzerte gesungen. Nach dem Abitur in Nordrhein-Westfalen entschied er sich jedoch für das Studium der Humanmedizin im Osten der Republik, mit dem Ziel, sich später einmal um die medizinischen Belange von Sängerinnen und Sängern zu kümmern. Im Rahmen seines Studiums wurde Lennart Pieper aufmerksam auf die Forschungsarbeiten des Phoniaters, Pädaudiologen und Musikermediziners Prof. Dr. med. Michael Fuchs, in dessen Sektion er anschließend seine Promotionsarbeit zur Entwicklung der Kindersingstimme im Grundschulalter aufnahm und diese im vergangen Jahr an der Universität Leipzig erfolgreich abschloss.  

Nun steht er im Paulinum und bringt sein Fachwissen über musikmedizinische Aspekte in das gemeinsame Forschungsprojekt mit der TU Bergakademie Freiberg ein. „Wir erforschen, wie sich die CO2-Konzentration in einem kirchenähnlichen Gebäude wie dem Paulinum während einer Chorprobe entwickelt und ob die raumlufttechnische Anlage eine sichere Probe für den Chor über einen längeren Zeitraum ermöglicht “, so Wissenschaftler Pieper. Technischer Kopf des Forschungsprojektes ist Rüdiger Schwarze, Universitäts-Professor für Strömungsmechanik und Strömungsmaschinen an der TU Bergakademie Freiberg. „Dazu installieren wir im Raum ein Sensorfeld, mit dessen Hilfe wir die Luftqualität mittels des Indikators CO2 kontinuierlich überwachen. Bleibt die CO2-Konzentration überall im Raum gering, besteht auch kein erhöhtes Infektionsrisiko. Steigt die CO2-Konzentration jedoch im Laufe der Zeit überall oder in bestimmten Bereichen des Saals an, so reichern sich dort auch ausgeatmete Aerosole vermehrt an, die gegebenenfalls Viren enthalten können. Damit würde in diesen Bereichen auch das Infektionsrisiko steigen“, erklärt der studierte Physiker.

Ausstoß der Aerosole hängt von Bewegung der Lippen ab

Es ist hinreichend bekannt, dass das Corona-Virus auch über Aerosole, also kleinste Tröpfchenteilchen mit einem Durchmesser von unter fünf Mikrometern, übertragen werden kann. „Da diese Teilchen nicht unmittelbar zu Boden sinken, sondern sich für eine gewisse Zeit in einem Schwebezustand in der Luft befinden, stellen sie beim Chorgesang ein entscheidendes Infektionsrisiko dar“, so Musikermediziner Pieper. Der Ausstoß von Aerosolen beim Singen hängt von der Bewegung der Stimmlippen ab, die je nach Gesangsart unterschiedlich schwingen.

Mittlerweile verteilen sich rund 40 Sänger:innen des Leipziger Universitätschores im Paulinum, um ihre Chorprobe durchzuführen. Die Freude über das Wiedersehen und gemeinsame Singen steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Ein Lächeln und eine kurze Begrüßung, dann verteilen sich alle auf ihre Positionen. Der Abend findet unter der Einhaltung des Hygienekonzeptes und der 2G-Regel statt. In den vergangenen zwei Jahren hat der Leipziger Universitätschor aufgrund der Pandemie nur ein Konzert singen können. Jetzt wieder an der neuen, alten Wirkungsstätte der Leipziger Universitätsmusik singen zu können – der Wunsch nach Normalität ist enorm.

Ergebnisse im März erwartet

„Von den CO2-Messungen erhoffen wir uns die Bestätigung dafür, dass die Lüftungsanlage im Paulinum - Aula und Universitätskirche St. Pauli mit hohem Außenluftanteil für besonders günstige Bedingungen für Chorgesang und Veranstaltungen mit Publikum auch unter Pandemiebedingungen sorgt“, sagt Universitätsmusikdirektor Professor David Timm. „Wir wollen mithilfe der Messergebnisse für diesen Raum eine Genehmigung erwirken, die uns eine kontinuierliche Fortführung der Probentätigkeit ermöglicht. Schön wäre es, wenn dieses Beispiel Schule machte und bald viele Proben-, Konferenz- und Schulräume ihren 'Belüftungs-TÜV' bekommen könnten. Mein herzlicher Dank gilt den beteiligten Wissenschaftler:innen der Bergakademie Freiberg sowie unserer Universität." Mit Interesse erwartet Timm die Ergebnisse, die im März vorliegen sollen.

Um herauszufinden, wie sich der CO2-Gehalt und die Aerosole im Paulinum verteilen, sind zehn Messständer mit je drei Messsonden aufgestellt. Gemessen wird auf drei Ebenen – Hüfthöhe, Mundhöhe und Über-dem-Kopf – um eine größtmögliche Flächenabdeckung zu erreichen. „Bekannt ist, dass die Aerosolkonzentration im Raum mit der CO2-Konzentration im Raum korreliert“, meint Dr. Pieper. Seit 2017 absolviert er seine Facharztweiterbildung an der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde und ist seit Beginn des Jahres Mitarbeiter bei Prof. Fuchs in der Sektion Phoniatrie und Audiologie sowie am Zentrum für Musikermedizin am Universitätsklinikum Leipzig. 

Signal in Echtzeit auf dem Monitor

Sechsmal in der Stunde kann die Luft im Paulinum umgewälzt werden, bis zu 95 Prozent Frischluft ist dann im Raum. Der Chor singt mit laufender Belüftungstechnik, zwischen den Messungen wird der Raum mit seiner kirchenähnlichen Architektur gespült, das heißt beim Start jeder Messung wird der Wert des Luftgehalts auf den gleichen Ausgangspunkt gebracht. So können die Messwerte anschließend nebeneinandergelegt und verglichen werden.

Der Chor singt sich unter Leitung von David Timm ein. Sprechgesang, Vokalisen und Abendlieder folgen. Die Messsonden funken die Daten an den Rechner im Technikraum und auf dem Monitor zeichnet sich das Signal in Echtzeit ab. Im Paulinum tritt ein Sänger zum Testen der Messmethode an das Mikro heran. Die Messkurve auf dem Monitor schnellt steil nach oben. Um die Messungen nicht zu beeinflussen, halten sich die Wissenschaftler:innen über den gesamten Zeitraum im Technikraum hinter einer Glasscheibe, abgetrennt vom Probenraum, auf. Sie haben im Rahmen ihres Forschungsprojektes, welches zu Beginn der Pandemie 2020 startete, bereits erfolgreiche Messungen mit kleineren Chören in kleineren Räumen durchgeführt. Nun wollen sie weitere Daten sammeln, für größere Chöre in größeren Räumen.

Konkrete Handlungsempfehlungen für Chöre

Wie verhalten sich die Luftströme ohne hochmoderne Belüftungstechnik, in einfach gebauten Kirchen? Um das herauszufinden, wird die Belüftungstechnik ausgestellt und ein weiterer Messvorgang beginnt. „Unser Ansatz ist auf ähnliche Umgebungen und größere Veranstaltungsräume mit modernen raumlufttechnischen Anlagen übertragbar. Die von uns untersuchten Aspekte werden auch zukünftig, also beim Übergang von einer pandemischen auf eine epidemische Lage von Bedeutung sein“, fasst Prof. Schwarze zusammen.

Die Messungen lassen bereits erkennen, dass die CO2-Konzentration bei einem größeren Raumvolumen wie im Paulinum langsamer ansteigt und dass nach dem Einschalten der raumlufttechnischen Anlage die CO2-Konzentration im Probensaal rasch absinkt. In den kommenden Wochen werden die Ergebnisse detailliert ausgewertet, anhand derer die Wissenschaftler Pieper und Schwarze konkrete Handlungsempfehlungen für den Universitätschor aber auch für Kirchenchöre ableiten wollen. 

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Ihr Kommentar

Hinterlassen Sie gern einen Kommentar. Bitte beachten Sie dafür unsere Netiquette.