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Seit 2013 hütet das Universitätsarchiv Leipzig, das ohnehin nicht gerade arm an Schätzen ist, einen ganz besonderen Schatz: Das Archiv des Fotografen Armin Kühne. Mehr als 40 Jahre war er mit der Kamera in der Messestadt unterwegs und entwickelte dabei einen ganz eigenen Blick auf seine Heimatstadt. Insbesondere deren Verfall begann er irgendwann zu dokumentieren. „Mich als gebürtigen Leipziger interessiert alles, was in meiner Stadt geschieht oder irgendwie auffällt – sowohl positiv wie auch negativ“, sagte er im Jahr 2010 in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). Und er fügte hinzu: „Das ist beinahe wie ein Wahn, alles zu dokumentieren, ohne zu wissen, wo kann es veröffentlicht werden.“ Auch die Universität Leipzig hat er mit seiner Kamera begleitet, vor allem während der Zeit des Umbruchs 1990/91.

Zunächst war Kühne sozusagen als Privatmann in der Stadt unterwegs, in der er 1940 geboren wurde. Denn beruflich schlug er erst einmal eine andere Richtung ein: Einer Lehre als Stahlbauschlosser schloss sich ein Studium des Maschinenbaus an, es folgte seine Arbeit als Technologe, Tätigkeit im Wirtschaftsrat des damaligen Rats des Bezirkes Leipzig „und sogar Ende der 1970er-Jahre Direktor für Forschung und Entwicklung im VEB Famos Leipzig“, wie sein Freund und Kollege Thomas Mayer, ehemaliger Chefreporter der Leipziger Volkszeitung, berichtete. Mayer sagte auch, Kühne habe den „realsozialistischen Planungsirrsinn“ in der Fabrik für Metallwaren und Spielzeug eines Tages nicht mehr mitmachen wollen und gekündigt.

Die damaligen Chefredakteure der heute nicht mehr existierenden Tageszeitungen „Sächsisches Tageblatt“, „Die Union“ und „Mitteldeutsche Neueste Nachrichten“ unterstützten Kühnes Antrag auf Zulassung als freiberuflicher Fotoreporter, als der er seit 1979 arbeitete. Den Verfall der Stadt beobachtete er schon damals, die Bilder davon wurden aber nicht veröffentlicht. Das änderte sich erst nach der sogenannten politischen Wende des Jahres 1990. Der damalige Baubürgermeister Niels Gormsen ermunterte ihn dazu, die neu entstehende Stadt zu dokumentieren. „In den folgenden Jahren bin ich dann mit der Kamera wieder an die einstigen 'Tatorte' gegangen und habe die Veränderungen an den Häusern fotografiert. Ich wollte zeigen, dass sich etwas bewegt und die Leute stolz sein können auf das, was geworden ist – bei all den Problemen, die es sonst gibt“, erinnerte sich Kühne im MDR.

Leipziger Bild-Chronist des politischen Umbruchs

Zum Ende der DDR und in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung ging er seinem „Wahn“ weiter nach. Auf der Webseite „https://einheit.leipzig8990.de“ des Universitätsarchivs sind bereits zehntausende Aufnahmen aus den Jahren 1990 und 1991 zu sehen. Es gab nichts, was Kühne ausgelassen hätte: Straßenszenen, Volksfeste, Demonstrationen, Straßenmusik mit der Kelly Family, zahlreiche Aufnahmen rund um die Universität, Wahlkampfauftritte von Politikern – und immer wieder verfallene Häuser. Bisweilen stutzt auch der Direktor der Universitätsarchivs, Dr. Jens Blecher, wenn er nach der Motivation Kühnes fragt, bestimmte Motive zu wählen. „Ein Stapel von Briefkästen, zum Beispiel“, sagt er. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass Kühne damit den Übergang von der Deutschen Post der Deutschen Demokratischen Republik zur Deutschen Bundespost in einem einzigen Foto einfach und einprägsam dokumentiert hatte, als die Briefkästen ausgetauscht worden waren.

Es ist kaum vorstellbar, wie umfangreich Kühne die Stadt Leipzig und das Leben dort dokumentiert hat. Auf 2,5 bis 3 Millionen Fotografien wird das Archiv geschätzt. Und da möge denn doch einmal ein Vergleich erlaubt sein: Das Archiv des Krupp-Konzerns in Essen enthält ebenfalls „nur“ rund 2,5 Millionen Fotografien – und das, obwohl die Sammlung bis in die Frühzeit des Mediums zurückreicht. Armin Kühne ist am 22. Mai 2022 in Leipzig verstorben.

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