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Wenn die Suchmaschinen oder Apps als Übersetzer genutzt werden, dann entsteht vielleicht ein erstes Verständnis dafür, was mit dem Text gemeint sein könnte. Doch um sich wirklich zu verstehen, um kulturelle Zusammenhänge anderer Länder zu verstehen, sind Übersetzer:innen unverzichtbar. Vielleicht stärker denn je. Sie verstehen sich dabei als Mittler:innen zwischen den Kulturen, die zur Verständigung beitragen wollen. Beim Treffen des Netzwerks "Europäischer Master Übersetzen" (EMT) am 20. und 21. Oktober geht es um nichts weniger als "Die Sprache Europas" als sich veränderndes Ausdrucksmittel. Insgesamt 68 Hochschulen und Universitäten aus ganz Europa und die "Generaldirektion Übersetzen" der Europäischen Kommission nehmen an dem von der Universität Leipzig ausgerichteten hybriden Treffen teil. Einer der Organisatoren ist Dr. Oliver Czulo, Professor für Translationswissenschaft an der Universität Leipzig.

Schon öfter bekam er die Frage gestellt: „Sagen Sie, wird es Sie in ein paar Jahren noch geben?“ Das bezog sich nicht auf ihn, Dr. Oliver Czulo, der eine Professur für Translationswissenschaft am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der Universität Leipzig innehat. Die Frage bezog sich auf sein Institut und die Lehrinhalte zur Ausbildung von Übersetzer:innen und Dolmetscher:innen. Schließlich kann jetzt jeder mit ein bis zwei Klicks Texte in viele Sprachen übersetzen lassen. Kostenlos via Google, Bing & Co. „Doch so einfach ist es nicht“, betont Czulo. „Die KI hinter den digitalen Übersetzungsmaschinen ist zwar schon sehr weit entwickelt, aber es ist noch nicht ausreichend, um das breite Spektrum von Fachtexten korrekt und verständlich zu transportieren.“ Gemeint sind beispielsweise Texte, Dokumente oder auch Untertitel von Video- und Audiomitschnitten, die mit einer bestimmten Mitteilungsabsicht in die Zielsprache der Adressaten übersetzt werden müssen, dass beide Seiten sie verstehen und entsprechend handeln können. Mehrdeutigkeiten, besondere Assoziationen, sprachliche Bilder von Wörtern und Sätzen müssen den Eigenheiten des jeweiligen Kulturkreises der Sprache angepasst werden. „Das wiederum können die maschinenbasierten Systeme heute nicht vollständig umsetzen – und vielleicht nie.“

  • Trend der immer und überall verfügbaren Daten in möglichst vielen gebräuchlichen Sprachen hat Qualitätsbewusstsein verändert.

Und doch sieht der Sprachenwissenschaftler die technische Entwicklung der letzten 10 Jahre sehr positiv. „Die Sprachenindustrie ist eine der mit Abstand am weitesten entwickelten Industrien in der Digitalisierung“, weiß der Forscher zu berichten. Die überwiegende Zahl aller Fachübersetzungen werde mit Hilfe von digitalen Prozessen durchgeführt. Dabei nutzen selbst Übersetzer:innen die Technologien für ihre Arbeit. Es gibt große Terminologie- und Dokumentendatenbanken, auf die sie zurückgreifen können. Alles hat mit einem immer schnelleren Abrufen von Informationen zu tun. Nachrichten über Ereignisse in der Gesellschaft, Produktinformationen zu neuesten Entwicklungen oder Dokumente aus internationalen Organisationen sollen sich schnell in vielen Sprachen verbreiten, um die Menschen in ihrem Handeln mit den notwendigen Informationen zu versorgen. Dieser Trend, der immer und überall verfügbaren Daten in möglichst vielen gebräuchlichen Sprachen, hat jedoch das Qualitätsbewusstsein verändert. „Wir erleben, dass sich in der Welt eine ‚good enough‘-Mentalität entwickelt hat.“ Es scheint gut genug zu sein, wenn ein Mindestmaß an Verständlichkeit eingehalten wird. Prof. Dr. Oliver Czulo erzählt in diesem Zusammenhang die Geschichte von einer Begegnung mit einem Luftfahrtmanager: „Man spreche sicheres Englisch im Luftfahrtmanagement, meinte er im Kreis von Kollegen. Doch unter vier Augen gab er mir gegenüber zu, dass das Englisch meist gerade für allgemeine Vorträge, die Verständigung in der Luft und Smalltalk ausreiche. Wenn es im technischen, rechtlichen und logistischen Bereich kompliziert werde, seien die Spezialisten gefragt.“

Das ist nicht selten die Realität der Arbeitswelt. Der Übersetzer ist mehr als derjenige, der Worte aus der einen Sprache im richtigen Kontext in eine andere Sprache überträgt. Der Beruf war schon immer an der Schnittstelle zwischen interkultureller und Fachkommunikation angesiedelt. Häufig wird mit Risiko- und Hochrisikotexten in verschiedenen Themengebieten gearbeitet. Die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen, wenn diese aus verschiedenen Kulturkreisen aufeinandertreffen, gehört genauso dazu wie Migration in all ihren Facetten, politische Kommunikation oder Hochtechnologie. „Bei Übersetzungen von Texten zum Beispiel aus dem Gebiet Recht“, so Prof. Czulo, „geht es, genauso wie in anderen Gebieten, nicht um eine 1:1-Übertragung alleine durch Wörterbuchrecherche. Man muss berücksichtigen, dass wir selbst in Europa durch die unterschiedlichen Rechtssysteme auf Begrifflichkeiten treffen, die wir bei uns in Deutschland nicht kennen, oder umgekehrt. Da ist die Expertise der künftigen Übersetzer:innen gefragt. Missverständnisse können zu gravierenden Konsequenzen führen.“

  • „Geistige Vielsprachigkeit besteht im Versuch zu verstehen, wie andere Kulturen denken.“

Übersetzer müssen kulturelle Unterschiede bezüglich unterschiedlicher Fachkulturen oder in der Experten-Laien-Kommunikation überbrücken sowie eine barrierefreie Kommunikation herstellen. Zunehmend entwickeln sich Berufsprofile wie Translationsmanagement und Translation Engineering, also Gestaltung mehrsprachiger und mehrkultureller Kommunikationsprozesse mit mehr oder weniger technologischen Anteilen in der Berufssparte. Neue Tätigkeitsfelder haben sich neben dem prototypischen Übersetzen eröffnet oder haben an Volumen zugenommen. „Zum Beispiel Unter- und Übertitelung nicht nur von Film- und Fernsehproduktionen oder großen Opernabenden. Diese Dienstleistungen nutzen mittlerweile verschiedene Theater- und Opernhäuser häufiger, zum Beispiel für einen barrierefreien Kulturgenuss. Die Softwarelokalisierung, Einfache und Leichte Sprache gehören ebenso zu unseren Tätigkeitsfeldern“, berichtet Translationsprofessor Czulo. „Und genau diese Themen werden bei unserem EMT-Netzwerktreffen in Leipzig behandelt. Die Sprache ist in Bewegung. Wir sind daher diejenigen, die sich, wenn wir Mittler:innen zwischen den Kulturen in der Sprache sein wollen, diesen Veränderungen anpassen müssen.“ Eine Orientierung gibt der italienische Schriftsteller und Übersetzer Umberto Eco für die künftigen Übersetzer:innen in einem Gespräch mit dem deutschen Philosophie-Magazin 2013: „Geistige Vielsprachigkeit besteht im Versuch zu verstehen, wie andere Kulturen denken.“

Zum Anpassungsprozess einer kompetenzbasierten Lehre und Forschung gehört, „dass wir in angrenzende Bereiche mit unserer Wissensvermittlung gehen“, erläutert Prof. Czulo die Herangehensweise an die „Vielsprachigkeit“. Es sind die entsprechenden Kompetenzen, auf die es in der praktischen Umsetzung ankommt. „Tatsächlich arbeitet am IALT schon ca. ein Drittel der Studierenden im Master nebenher berufsbezogen. Abschlussarbeiten werden oft von Werkstudent:innen, nach Praktika oder im Rahmen von Lehrprojekten geschrieben.“

Die aktuellen Forschungsprojekte am IALT untersuchen ebenfalls die Vielfalt in der Anwendung der Sprache in den einzelnen Kulturkreisen. „Unter anderem erforschen wir mit unserem Projekt ‚A usage-based approach to spatial language‘ die verschiedenen Formen der Codierung von Bewegung in der Sprache.“

Man möge sich das Sprachengewirr auf dem zweitägigen EMT-Netzwerktreffen unter den 68 teilnehmenden Hochschulen und Universitäten vorstellen. Aber, schließlich geht es um Verständigung in verschiedenen Sprachen und damit um die Bewahrung der eigenen Identität über die Sprache. So ist das Motto auch an den Ausspruch Umberto Ecos angelehnt: „Die Sprache Europas ist die Übersetzung.“

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