Intelligente Landwirtschaft nutzt digitale Technik
Martin Schieck beschäftigt sich in seiner Promotionsarbeit mit der Digitalisierung in der Landwirtschaft und passt damit hervorragend in das Projekt „Smart Farming Lab“ der Leipziger Wirtschaftsinformatik, wo er als ein Forschungsgruppenleiter mitwirkt. Vor wenigen Tagen nun wurde ein Memorandum of Understanding unterzeichnet und damit die interdisziplinäre Kooperation zwischen dem LFG Oberholz der Veterinärmedizinischen Fakultät und dem Smart Farming Lab der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät besiegelt.
„Wir Informatiker haben am LFG Oberholz die große Chance, das landwirtschaftliche Know-how verstehen und im Alltag nacherleben zu können. Das hilft uns unglaublich, schnell zu lernen, auch aus Fehlschlägen, und dann produktiv wirklich gute Ergebnisse zu liefern.“
Denn das Team von Wissenschaftler:innen erforscht und vermittelt Anwendungen digitaler Technologien entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette. Ihr Ziel ist es, die regionalen Landwirtschaftsbetriebe mit Innovationen nachhaltig und effizient aufstellen zu helfen und so in die Zukunft zu begleiten. Das vielbenutzte Stichwort lautet digitale Transformation und schließt selbstverständlich auch KI ein. Viele halten sie für unbedingt notwendig, aber da, wo sie hin soll, wissen viele einfach nicht, wie umsetzen.
Felder und Stallungen als Reallabor
Das Lehr- und Forschungsgut Oberholz in Großpösna gehört seit 1994 zur Veterinärmedizinischen Fakultät und dient nicht nur der studentischen Lehre. War das Gut früher noch hauptsächlich dafür da, die Universität und ihre Professorenschaft mit Essen und Brennholz zu versorgen, findet bereits seit dem 18. Jahrhundert auch Forschung statt, erläutert Leiterin Karin Heinichen. „Ebenso, wie sich die Gesellschaft mit ihren Bedürfnissen nach Gesunderhaltung der Bevölkerung und der Nutztiere entwickelt hat. Aktuell halten wir 120 Mutterschafe, 40 Kühe und 40 Schweine. Frei von Infektionen und von der Besamung an nachvollziehbar. Das macht unsere Arbeit wertvoll für die Forschung. Wir sind unter anderem Partner fürs Leipziger Herzzentrum und die Berliner Charité.“ Mehrere innovative, ausgezeichnete Projekte und Doktorarbeiten laufen aktuell. So sind im Kuhstall überall Sensoren verteilt, die von Sozialverhalten bis Hitzestress alles messen. Mittels einer digital gesteuerten Troganlage kann die sehr unterschiedlich ausfallende Futteraufnahme individuell analysiert werden. Hierbei geht es um Fragen wie die optimale Zusammensetzung oder Milchinhaltsstoffe bis hin zu Faktoren des Klimawandels. „Bei uns kann unter Praxisbedingungen gearbeitet, gelernt und geforscht werden“, sagt Heinichen nicht ohne Stolz. „Und diesen Umstand macht sich nun auch die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät unserer Uni zunutze. Die fakultätsübergreifende Zusammenarbeit freut uns sehr, dafür stellen wir das Gut gerne zur Verfügung.“
Vertrauensaufbau: Stadt und Land als Tandem
Das „Smart-Farming“-Forschungsteam ist überzeugt, dass die notwendige Agrar- und Ernährungswende nur durch den Einsatz intelligenter, digitaler Lösungen gelingen kann. Die Forschenden legen besonderen Wert darauf, dass Forschungsergebnisse gut an potenzielle Anwender in der Landwirtschaft sowie an Verbraucher vermittelt werden. „Dabei ist es unbedingt nötig, Skepsis abzubauen und Wissen anschaulich zu vermitteln“, berichtet Tobias Nolting, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und im Team zuständig für die Kommunikation. „Dafür haben wir die ‘Mobile Scheune’ entwickelt, als Ort für Austausch und gegenseitiges Lernen.“ Es handelt sich um einen mobilen Messestand, groß wie ein Container mit ausklappbaren Seitenwänden. Mit ihm besuchen sie seit mehreren Jahren regionale Wein- und Obstbaubetriebe, stellen digitale Lösungen vor, kommen ins Gespräch, hören sich Bedürfnisse an. Es ist ein Experimentier- und Begegnungsraum.
Digitalisierung niedrigschwellig, quasi zum Anfassen. Wissenstransfer wir hier wörtlich genommen und nicht als Einbahnstraße verstanden, sondern als gegenseitiges Lernen. „Die Hürden, dass wir den Leuten etwas an der Uni zeigen, sind zu hoch. Wir gehen dahin, wo die Leute sind, und begegnen uns auf Augenhöhe, fragen wie wir helfen können. Sie können einiges ausprobieren, eine VR-Brille, eine kleine Drohne, Robotik und wir zeigen Anwendungsbeispiele. Wir machen die Erfahrung, dass es sehr dankend angenommen wird. Und auch wir nehmen viele Anregungen mit in unsere Arbeit. Das bringt sehr hohen Anwendernutzen mit sich.“
Ein Anwendungsbeispiel ist ein digital unterstützter Traktor. Verschiedene Sensoren und Kameras sind auf seinem Dach befestigt. Damit werden KI-Modelle trainiert, die die Umwelt erkennen lernen. Er soll autonom im Feld fahren können. Im Realbetrieb wäre dies nicht umzusetzen, auf dem geschützten Gelände des LFG Oberholz schon. Ein echter Mehrwert. Bislang waren die Projekte von Smart-Farming-Lab beim Pflanzenanbau angesiedelt. Mit dem Standort Oberholz können sie sich nun auch in Richtung Tierhaltung erweitern, möglicherweise auch um das Thema Energienutzung.
Ausstrahlung in die Region
Die Unterschriften unter die Kooperation zwischen dem LFG Oberholz und dem Smart Farming Lab sind gesetzt und bei bestem Frühlingswetter im Foto festgehalten. Auch das lässt die immer noch regungslos dösenden Schweine ungerührt. Prof. Dr. Utz Dornberger, Professor für Entwicklungsökonomie an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, dagegen beschreibt ganz lebhaft die Vorteile für alle: „Unser Projekt braucht konkrete Ressourcen, vor allem Zugang zu landwirtschaftlichen Nutzflächen und Werkstätten, wo die Wissenschaftler ihre Technologie ausprobieren können. Dafür haben wir im Oberholz eine super Situation vorgefunden.“ Die Fakultät ist schon seit geraumer Zeit an verschiedenen Orten in Landkreisen um Leipzig aktiv, wo Innovationsorte weiterentwickelt werden. So ist vor sieben Jahren in Riesa auf einem alten Rittergut die Innovationsakademie des Handwerks entstanden, die auch kräftig vom Bund gefördert wird. „Im Oberholz im Landkreis Leipzig könnte ähnliches entstehen“, meint Dornberger, der auch Prodekan für Transfer und Campusentwicklung an seiner Fakultät ist. „Deshalb die Kooperation. Wir können Wissenstransfer nämlich nicht nur in der städtischen Blase realisieren, sondern müssen aktiv in die Regionen gehen und dort Innovation befördern. Das ist für uns als Universität auch eine gesellschaftliche Verantwortung.“
Prof. Dr. Matthias Middell, Prorektor für Campusentwicklung: Kooperation und Internationalisierung, unterstützt die Vision: „Das LFG Oberholz als Uni-eigene Institution ist logischerweise ein idealer Startpunkt. Leuchtturmprojekte, die Entwicklung anschieben und voranbringen, werden gebraucht. Da ist viel Potenzial an unserer Universität.“
Schließlich ist das große Ziel, die Landwirtschaft zu revolutionieren, langfristig die Ernährung zu sichern, und dabei Klima, Ressourcen, Lieferketten, Bevölkerungswachstum und soziale Aspekte zu berücksichtigen.
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