Die Musikstadt Leipzig ohne ein eigenes Universitätsorchester? Das kam uns seltsam vor, als wir Anfang der 2000er Jahre zum Studieren nach Leipzig zogen. Und wie sich schnell herausstellte, waren wir damit nicht alleine.
Nur reicht eine gemeinsame Feststellung bisweilen nicht aus, um etwas zu verändern, sondern es braucht ein paar Mutige, die in die Hände spucken und es angehen. So wurde unsere erste gemeinsame Wohnung 2003 zur Schaltzentrale für die Gründung des Leipziger Universitätsorchesters (kurz: LUO). Innerhalb kürzester Zeit fanden sich fünf weitere Kommiliton:innen – der erste Vorstand des Orchesters –, mit denen wir gemeinsam Musiker:innen suchten, Noten bestellten und uns einrichteten, Räume mieteten, Werbung organisierten und vieles mehr.
Die Erste war Muriel Stoppe, die dann auch langjährig unsere Konzertmeisterin war. Als wir sie damals anriefen, saß sie eine halbe Stunde später in unserem Wohnzimmer, und das Feuer für ein neues Orchester war entfacht. Ein anderer, Björn Mäurer, hatte das Landesjugendspaßorchester Thüringen mitgegründet, heute die STÜBAphilharmonie, und damit bereits Erfahrungen mit Orchestergründung gesammelt. Er wohnte wie wir in der Alfred-Kästner-Straße, hatte immer eine DIN A4-Seite voll mit Adressen und Telefonnummern in Schriftgröße 3 dabei – also einen riesigen Fundus an Musiker:innen – und brachte gleich noch seinen Mitbewohner Malte Hinzpeter in die Organisations-Runde. Die Bratschistin Susanne Brakmann war dabei. Die Flötistin Alexandra Haubner brachte ihre Musikpädagog:innen Kontakte mit, und vermittelte uns in unseren ersten Proberaum im Krochhochhaus.
Orchestergründung in der Studentenwohnung
Über Wochen und Monate lief unser Festnetztelefon heiß und zahlreiche Mails wurden vom klobigen PC an das wachsende Ensemble verschickt. Viele davon fanden sich in der Medizinischen Fakultät, ein offensichtlich besonders musizierfreudiges Volk. Aber nicht nur bei Mitspielenden rannten wir offene Türen ein: Mit unserer Idee, ein ambitioniertes, demokratisches Studierendenorchester zu gründen fanden wir schnell Förderer auf allen Seiten: die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Uni Leipzig, den kurze Zeit später verstorbenen Universitätsmusikdirektor Wolfgang Unger, die Gewandhausdirektion, den Alumniverein der Medizinischen Fakultät und viele mehr.
In der Stadt gab es ein riesiges Potential, und der Wunsch nach einem studentischen Orchester war so groß, dass wir schon innerhalb eines Semesters ein Gründungskonzert im Gewandhaus spielen konnten, damals noch als „Leipziger studentisches Orchester". Der Mendelssohnsaal war an diesem Abend so brechend voll, dass einige Zuschauer wieder nach Hause geschickt werden mussten. Und der damalige Rektor Franz Häuser war gleich so angetan, dass innerhalb kürzester Zeit die Entscheidung des Rektorats stand: Wir wurden das Leipziger Uniorchester.
Demokratisch gewähltes Musikprogramm
Was war das Erfolgsrezept für Freude, Zufriedenheit und die hohe musikalische Qualität über diesen langen Zeitraum? Für uns waren zwei Faktoren entscheidend: Demokratie und stetige Erneuerung. So haben wir im Statut des Orchesters festgehalten, dass der/die Dirigent:in vom Orchester mehrheitlich gewählt werden muss, ebenso die Stimmführer:innen, die Vorstandsmitglieder und das Konzertprogramm. Das war keineswegs immer leicht, denn wo in unserer Gesellschaft lernt man echte, basisdemokratische Beteiligung? Wo lernt man, gemeinschaftliche Entscheidungen zu treffen und zu akzeptieren?
Mitgliederversammlungen oder Vorstandssitzungen waren nicht selten zähe, lange und anstrengende Veranstaltungen – wir alle mussten erst lernen, was es bedeutet, sich in großer Gruppe Raum zu nehmen oder einzuordnen und wie schwer Konsens oder zufriedenstellende Mehrheitsentscheidungen zu erreichen sind. Aber mit der Zeit entwickelte sich darin eine Selbstverständlichkeit, von welcher unsere Musik und der Gemeinschaftssinn profitierten.
Ständiger Wandel seit 20 Jahren
Ganz wichtig war uns auch die stetige Erneuerung. Niemand sollte viel länger als seine Studienzeit in diesem Orchester verbringen, um allen Generationen von Studierenden die gleichen Chancen des Mitspielens zu ermöglichen. Und so mussten auch wir zum Ende des Studiums ausscheiden und das Orchester „seinem Schicksal überlassen". Für jeden Arbeitsbereich des Vorstands hatten wir damals einen Ordner angelegt, der immer an die nächste Generation weitergegeben wurde. Ob diese Ordner noch in Papier existieren oder nicht – die Übergabe der Aufgaben im Vorstand funktioniert offenbar blendend, wie man an der weiterhin tollen Organisation dieses Orchesters sehen kann.
Das Uniorchester Leipzig bietet eine Plattform für Studierende, um gemeinsam großartige, sinfonische Musik zu machen. Aber es ist auch ein Lernfeld für demokratische Beteiligung und gesellschaftliche Verantwortung. Wir wünschen dem Leipziger Universitätsorchester alles Gute zum 20. Geburtstag und den Mitgliedern weiterhin viel Freude beim Musizieren!
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