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Beim Afrikanist:innen-Tag 2023 an der Universität Leipzig (4.-6. Mai) diskutieren Wissenschaftler:innen unter anderem über sogenannte „rassifizierende“, nicht unbedingt rassistische Sprache. Hierzu äußern sich in einem Interview mit dem Universitätsmagazin Lara Krause-Alzaidi und Irene Brunotti vom Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig. Sie halten bei der Konferenz einen Vortrag mit dem Titel „How to get in touch with un/racializing words“.

„Racializing words“ übersetzt Google mit „rassistische Worte“. Wann sind Worte rassistisch, wann nicht?

Irene Brunotti: In unserem Vortragstitel heißt es „un/racializing words“. „Racializing“ bedeutet rassifizierend – nicht rassistisch. Rassistisch impliziert eine strukturelle, hierarchisierende Diskriminierung gegen nicht-weiße Menschen, die eine lange und sehr gewaltvolle koloniale Geschichte hat. Rassifizierung hingegen kann, theoretisch, erst einmal jede Person betreffen. Rassifizierende Worte sind Worte, die Körper nach phänotypischen Merkmalen – oft Hautfarbe, aber auch Haartextur, Gesichtszüge und viele mehr – kategorisieren und somit unterscheiden.

Lara Krause-Alzaidi: Das heißt, dass auch die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland, theoretisch, als weiß rassifiziert werden kann, dadurch aber in Deutschland keine rassistische Diskriminierung zu befürchten hat, denn die erdachte Hierarchie ist weiterhin sehr wirkmächtig.  Dies gilt allerdings nicht im Zusammenhang mit Antisemitismus, der eine Form der Rassifizierung ist, die, wie wir wissen, rassistische und sogar tödliche Folgen hatte und hat.

Irene Brunotti: Worum es in unserem Vortrag geht, sind un/racializing words, de/rassifizierende Worte. Der Schrägstrich drückt aus,  dass wir nicht pauschal sagen können, welches Wort wie und wann in Rassifizierungsprozesse involviert ist. Dies ist strikt davon abhängig, mit welchem Körper – mit seiner spezifischen Geschichte – ein Wort kollidiert.

Lara Krause-Alzaidi: Wir können also nicht sagen, welche konkreten Wörter wann rassifizieren, mit potentiell rassistischen Implikationen. Grundsätzlich können alle Worte – auch scheinbar unschuldige Worte – rassifizieren. Deshalb wenden wir uns in unserer Arbeit spezifischen Wort-Körper-Kollisionen zu. Dies sind Momente, in denen spezifische Worte auf spezifische Körper prallen – ein ungewohnter Ausdruck, denn normalerweise denken wir über Worte nur im Bezug auf ihre Bedeutung nach, nicht in Bezug auf ihr Potential mit Körpern zusammenzustoßen. Wir glauben allerdings, dass diese neue Perspektive hilfreich ist, vor allem als Antwort auf das sich immer weiter verbreitende Gefühl der Unsicherheit im Hinblick auf wer was wie wann und wo sagen darf.

Viele Menschen empfinden die Sprache als „Minenfeld“, sagen  Sätze wie „Man weiß ja gar nicht, was man heute noch sagen darf.“ Wozu raten Sie?

Irene Brunotti: Wir haben so viele Worte und doch "können wir nichts mehr sagen". Dies ist tatsächlich ein Rätsel, mit dem wir uns seit einer Weile beschäftigen. Wir vermuten, dass wir das Gefühl haben, "nichts mehr sagen zu können", weil wir nicht in der Lage sind, die körperliche Wirkung von Worten abzuschätzen.

Lara Krause-Alzaidi: Wir denken über Worte normalerweise nicht in direkter Verbindung zum Körper nach. In der Schule und auch in der Wissenschaft lernen wir Worte zu definieren, zu übersetzen, ihre Bedeutung zu interpretieren. Wir beschäftigen uns mit dem, was diese Worte repräsentieren – aber nicht mit dem, was sie Körpern direkt antun können. Deshalb wissen wir oft weder, wie wir präventiv schmerzvermeidend sprechen könnten – daher das Gefühl, man dürfe nichts mehr sagen – noch, wie wir auf bereits entstandene Verletzungen reagieren könnten.

Irene Brunotti: Genau. „So habe ich das nicht gemeint“, ist momentan unsere einzige Antwortmöglichkeit, wenn eine Person sagt, unsere Worte hätten sie verletzt. Momentan haben wir keine bessere Antwort, keinen Ratschlag. Aber wir arbeiten an einem Projekt, welches genau diese Antworten liefern will. Wir nehmen einen Perspektivenwechsel vor, der nicht Wort und Bedeutung/Intention in den Blick nimmt, was üblich wäre, sondern das Wort-Körper-Verhältnis. Wir wollen lernen, uns Worten in einer Art und Weise zu nähern, die Verantwortung für Ungerechtigkeiten und Schmerz übernimmt, und uns antworts- und handlungsfähig macht.

Sie sprechen davon, dass Worte mit Körpern kollidieren. Welche „Kollisionen“ interessieren Sie besonders?

Irene Brunotti: Wir wenden uns spezifischen Wort-Körper-Kollisionen zu, die Schmerz verursachen. Zunächst fokussieren wir uns dabei auf Kollisionen, in denen Rassifizierung eine Rolle spielt, planen aber, unseren Fokus auszuweiten, denn die Effekte von Worten auf Körper lassen sich nicht strikt eingrenzen. Wort-Körper-Kollisionen sind Momente, in denen wir merken, dass Worte nicht nur Worte sind; Momente, die wir nun immer häufiger auch in den Medien beobachten können. Man schaue nur nach Tübingen.

Lara Krause-Alzaidi: In solchen Fällen geht es dann um sehr spezifische Worte, ein Fokus der gerechtfertigt und nötig ist. Allerdings ist jedes Wort ein spezifisches Geflecht aus Geschichten, Material und Bedeutung. Wenn es auf einen Körper prallt – der seinerseits ein spezifisches Geflecht ist – konstituiert sich durch diesen Aufprall eine ganz bestimmte Welt und, unter Umständen, ganz spezifischer Schmerz. In unserer Forschung interessiert uns dieses Wort-Körper-Verhältnis. Aufgrund unserer akademischen Positionierung in den Afrikastudien haben wir die Möglichkeit, uns Wort-Körper-Kollisionen zuzuwenden, die außerhalb der gängigen Wissenschaftssprachen, allen voran Englisch, stattfinden und geprägt sind von Gesellschaften mit einer kolonialrassistischen Vergangenheit – und Gegenwart.

 

Beim Afrikanist:innen-Tag 2023 gibt es auch einen Programmpunkt mit dem Titel „Rechtliche Aspekte des Schutzes afrikanischen Kulturgutes“. Welches Recht gilt, welche politischen Überlegungen mitunter eine Rolle spielen und was Wissenschaftler:innen zur Debatte beitragen können, darüber spricht Dr. Hatem Elliesie vom Orientalischen Institut der Universität Leipzig in einem weiteren Kurzinterview.

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