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Luther, Kant, Schleiermacher – diese Klassiker unter den deutschen Denkern fehlen in keinem Theologie- oder Philosophiestudium. Aber gibt es da nicht noch mehr? Eine Gruppe Theologie-Studierender setzt sich in der Initiative Theoversity seit einiger Zeit dafür ein, dass auch bislang eher marginalisierte Stimmen in ihrem Studium eine Rolle spielen.

Alles begann 2020, als der gewaltsame Tod von George Floyd in den USA durch die Medien ging und die Black-Lives-Matter-Bewegung weltweit Aufmerksamkeit auf rassistische Denk- und Handlungsstrukturen lenkte. „Eine Kommilitonin hat damals eine E-Mail rumgeschickt“, erzählt Kathrin Väterlein (31), Studentin an der Theologischen Fakultät. „Darin schlug sie vor, darüber zur reden, was diese Debatte mit uns macht als Theolog:innen.“ Im Ergebnis entstand eine Stellungnahme, in der sich die Studierenden dafür aussprachen, mehr marginalisierte Stimmen in die Lehre zu integrieren. 

Dazu gehören Denker:innen aus dem Bereich der südamerikanischen Befreiungstheologie und solche, die ihre Theorien auf dem afroamerikanischen Freiheitskampf in Nordamerika aufbauen („Black Theology“). Darüber hinaus geht es den Studierenden aber auch darum, mehr Texte von weiblichen Philosophinnen und Theologinnen zu lesen oder sich im Studium auch mit queer-feministischen oder ökotheologischen Ansätzen beschäftigen zu können.

Theoversity war für mich ein Grund, an die Theologische Fakultät in Leipzig zu gehen.

Anna Trende, Studentin

„Wir von Theoversity wollen zeigen, dass wir mehrere Perspektiven hören wollen“, erklärt Anna Trende (20), die im 3. Semester Evangelische Theologie studiert. „Sind es vor allem europäische, männliche, weiße Stimmen? Oder können wir dieses Wissen erweitern? Gerade als Studienanfängerin kann ich sagen, dass ich das super-bereichernd finde. Theoversity war für mich ein Grund, an die Theologische Fakultät in Leipzig zu gehen.“

Ein typisches Beispiel für ein Narrativ, dass die Studierenden hinterfragen, ist das des weißen Jesus. Obwohl der historische Jesus als Mensch aus der Levante höchstwahrscheinlich nicht weiß und blond war, wird er in bildlichen Darstellungen in der westlichen Welt – und übrigens auch in ehemals kolonialisierten Weltregionen – fast immer so dargestellt. „Befreiungstheologie stellt dazu Fragen“, erläutert Kathrin Väterlein. „Wo überschreiben solche Zuschreibungen eigentlich die historischen Tatsachen? Was ändert sich dadurch für Menschen, die nicht weiß und blond sind? Wie verändert sich dadurch ihre theologische Haltung?“

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Das Kunstwerk „Black Christ“ von Anne Heisig zeigt eine schwarze Christus-Figur, zu deren Füßen vier weiße Männer und Frauen klagen.
Im Flur der Theologischen Fakultät ist auf Initiative von Theoversity das Kunstwerk „Black Christ“ von Anne Heisig zu sehen, Foto: Nina Vogt/Stabsstelle Universitätskommunikation

Diese Kontextualisierung empfindet auch Luise Maidowski (29) als wertvoll, die vor Kurzem ihre Promotion in der Evangelischen Theologie begonnen hat: „Mal rauszugehen aus der deutschen Theologie und andere Impulse und andere Kontexte kennenzulernen, ohne den eigenen Kontext schlecht zu machen. Den eigenen Hintergrund zu reflektieren und zu sehen, wo ich stehe.“

Theoversity ist heute ein Arbeitskreis der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) aus aktuell 13 Mitgliedern. Die Studierenden pflegen eine eigene Webseite mit Leselisten und Hintergrundinformationen zu theologischen Denkschulen, die in der westlichen Welt bislang weniger wahrgenommen werden. Außerdem produzieren sie einen Podcast, füllen einen Instagram-Kanal mit Inhalten und organisieren regelmäßig Veranstaltungen. 

Studierende für ihr Engagement ausgezeichnet

Im Flur der Fakultät wurde auf Initiative von Theoversity das Kunstwerk „Black Christ“ von Anne Heisig aufgehängt. Ganz nebenbei erweitert sich durch ihre Aktivitäten nach und nach der Bibliotheksbestand im Bereich Theologie, weil Studierende immer wieder die Beschaffung von neuen Büchern anstoßen. Aktuell läuft an der Fakultät eine Plakataktion von Theoversity, die über Hilfsangebote bei sexualisierter Belästigung und Gewalt an der Fakultät aufklärt.

Im Dezember 2023 erhielt die Initiative den Nachwuchspreis der Universitätsgesellschaft für besonderes Engagement im Transfer. Die Jury lobte die Breite des Engagements, die Eigenverantwortung für die eigene Bildung, den konstruktiven Dialog für eine diversitätssensible Lehre in der Theologie und die hohe fachliche Qualität der Aktivitäten. Das Preisgeld nutzen die Studierenden, um die laufenden Kosten der komplett spendenfinanzierten Initiative abzudecken, beispielsweise die Organisation einer Klausurtagung.

Die dialogische Offenheit von Theoversity ermöglicht Lernprozesse.

Prof. Dr. Alexander Deeg, Dekan

Auch die Theologische Fakultät freut sich über die Initiative Theoversity, sagt Dekan Prof. Dr. Alexander Deeg: „Auf überaus konstruktive Weise werden Grundanliegen einer diversitätssensiblen Theologie und Lehre in die Theologische Fakultät Leipzig getragen – und durch viele digitale Veranstaltungen auch darüber hinaus.“ Als überaus hilfreich nimmt er die konkreten Anregungen für Themen von Lehrveranstaltungen, Erweiterungen von Literaturlisten oder Einladung von Referent:innen wahr. „Das gilt gerade auch im Kontext von Theologie und Kirche, wo die Wahrnehmung von Diversität immer wieder auch auf Vorbehalte stößt“, gibt er zu bedenken. 

Diversitätsfeindliche Denkmuster seien auch in kirchlichen Kontexten anzutreffen. „Eine einseitige Konfrontation ist dabei als Mittel der Veränderung meiner Ansicht nach völlig ungeeignet; die dialogische Offenheit von Theoversity ermöglicht Lernprozesse, die nicht nur für die Fakultät Bedeutung haben, sondern weit in Kirche und Gesellschaft ausstrahlen.“

Situation in den Gemeinden sehr unterschiedlich

Tatsächlich haben sich Initiativen wie Theoversity parallel auch an anderen Theologie-Standorten gebildet. Wie groß ihre Strahlkraft ist, inwieweit also diversitätssensibles Denken in der Breite der Kirche, in den evangelischen Gemeinden ankommt, darauf haben die Studentinnen keine einfache Antwort. „Ich nehme es so wahr, dass die Generation derjenigen, die jetzt ins Pfarramt kommen, schon mehr dafür sensibilisiert ist, auch wenn es noch sehr, sehr viel gibt, woran man weiter arbeiten kann“, sagt Anna Trende.

„Eigentlich ist das von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich und dann immer geprägt von der Pfarrperson und anderen Einzelpersonen,“ meint Luise Maidowski. Kathrin Väterlein beobachtet mit Sorge, dass sich die jüngere Generation auch in der Kirche stark auseinanderentwickle. „Die konservativen Kräfte werden lauter und stärker und auch die liberalen Kräfte nehmen zu und bekommen mehr Plattformen.“

Sie wollen auf jeden Fall weiter daran arbeiten, dass sich eine Vielfalt der Perspektiven in ihrem Fachbereich weiter etabliert und sich noch mehr Studierende dafür interessieren. „Ich würde mir wünschen, dass es Theoversity irgendwann gar nicht mehr braucht, sondern dass es selbstverständlich ist, dass Theologie diversitätsoffen ist“, sagt Luise Maidowski mit Blick in die Zukunft.

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