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Zu Beginn des Jahres verabschiedete sich der Gründungsdirektor des Centre of Competence for Theatre (CCT), Prof. em. für Theaterwissenschaft, Günther Heeg, von seinem Vorstandsposten. Nun leitet ein Trio das Zentrum. Im Interview sprechen zwei der drei neuen Leitungspersonen, Dr. Micha Braun und Dr. Veronika Darian, über dessen künftige Ausrichtung. Der Dritte im Bunde, der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft Prof. Dr. Patrick Primavesi, konnte aus Termingründen nicht teilnehmen.

Welche Ziele erfüllt das CCT neben dem Institut für Theaterwissenschaft und welchen Schwerpunkt möchten Sie zukünftig legen?

Veronika Darian: Wir stützen uns auf drei Säulen, die die Arbeit des CCT von Anfang an geprägt haben: Transfer, Lehre und Forschung. Der Transfer ist dabei besonders wichtig, da er darauf abzielt, die bereits bestehenden Netzwerke des Instituts in Wissenschaft und Praxis zu stärken, produktiv zu nutzen und mit Wirkung nach außen zu gestalten. Und das werden wir natürlich auch weiterhin versuchen voranzutreiben und zu stabilisieren.

Das Centre of Competence for Theatre (CCT) ist eine eigenständige wissenschaftliche Einrichtung an der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Regionalwissenschaften und wurde 2016 gegründet, um die Theaterwissenschaft in Leipzig – als dem einzigen ostdeutschen Standort dieser Disziplin – durch eine stärkere Sichtbarkeit und Anwendungsbezogenheit von Lehre und Forschung zu fördern.

Micha Braun: Das CCT wirkt im Verhältnis zum Institut für Theaterwissenschaft quasi als Inkubator und Plattform, um Gedanken, Projekte und Ideen auszuprobieren, bevor sie etwa drittmittelwirksam werden oder sofort für mehrere Semester die Lehre bestimmen. Der Transfer steht dabei im Vordergrund, da wir die Theaterwissenschaft wie die Theaterpraxis nicht isoliert betrachten, sondern in ihren sozialen und kulturellen Kontexten.

Schon vor Gründung des CCT ist uns klar gewesen, dass Theaterwissenschaft heute weder ein nur theoretisches, noch ein nur historisch orientiertes oder ein nur auf Gegenwartspraktiken ausgerichtetes Fach sein kann. Sie muss sich tatsächlich der Verankerung von theatralen Praktiken im sozialen und kulturellen Umfeld immer bewusst sein und dabei sowohl historisch als auch in der Gegenwart immer wieder darauf schauen, wie jeweils aktuelle gesellschaftliche Problemlagen im Theater verhandelt werden. Und umgekehrt auch untersuchen, wie theatrales Handeln im Alltag tatsächlich unser Zusammenleben prägen kann. Wir fragen etwa, wie sich die mit gesellschaftlichen und politischen Konflikten aufgeladene Lage unserer europäischen und globalen Gegenwart aus einer theaterbezogenen Perspektive betrachten lässt. Und welche Auswirkungen das wiederum konkret auf die Theaterpraxis hat.

Wir erleben inzwischen regelmäßig politische und mediale Angriffe gegenüber Theaterhäusern, besonders auch in der Freien und Amateurtheaterszene. Dies war auch ein wichtiges Thema in unserem BMBF-Forschungsprojekt „HeimatWeltBühne“ unter Leitung von Günther Heeg, in dem wir insbesondere im Amateurtheaterbereich feststellen konnten, dass es einen großen Unterschied macht, ob man im ländlichen Raum aktiv ist oder im städtischen Kontext und wie zum Beispiel kulturelle Bildung oder gerade deren Fehlen sich auf das Verständnis und die Handlungsspielräume in politischen und sozialen Zusammenhängen auswirkt. Dies erweitert unsere Perspektiven auf die Wirksamkeit und das Eingebettetsein von Theater enorm, und in diese Richtung möchten wir auch in Zukunft weitergehen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Veronika Darian im Interview
Veronika Darian im Interview, Foto: Swen Reichhold

Das Forschungsprojekt HeimatWeltBühne – Amateurtheater in peripheren Räumen Ostdeutschlands ist nun abgeschlossen. Wie behandelt das CCT dieses Thema künftig?

Micha Braun: Ich bin zum Beispiel gerade gemeinsam mit anderen Forscher:innen aus Leipzig und Sachsen in die Vorbereitung eines Antrags bei der Volkswagenstiftung involviert. Wir möchten Herausforderungen demokratischer Gesellschaften untersuchen und herausfinden, wie partizipative Formate die politische Teilhabe beeinflussen können.

Veronika Darian: Wir organisieren außerdem in diesem Sommer den Fachkongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft, unter dem Motto „Offene Räume“, gemeinsam mit dem Institut für Theaterwissenschaft und dem Tanzarchiv Leipzig e.V. Unser Kongress befasst sich insbesondere mit den ambivalenten Bedeutungen, die offene Räume in historischer, gesellschaftlicher und ästhetischer Perspektive haben können, aber auch damit, wie Theater neue Räume schaffen oder bestehende Räume umgestalten kann, um breitere gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dieser Kongress ist ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Praxis, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Er wird nicht nur in den Räumlichkeiten der Universität stattfinden, sondern in großen Teilen auch auf dem Gelände der Baumwollspinnerei. Das gibt uns die Möglichkeit, außer der Fachcommunity und den Studierenden auch die Stadtöffentlichkeit anzusprechen. Außerdem arbeiten wir in der Lehre seit einigen Semestern auf den Kongress hin und beteiligen Studierende aktiv an der Planung und Durchführung. Unsere Bertolt Brecht Gastprofessor:innen spielen dabei ebenfalls eine wichtige Rolle und werden in den Kongress integriert sein.

Portraitaufnahme von Dr. Micha Braun

So ist die Gastprofessur auch ein Transferprojekt in dem Sinne, dass Universität, Stadt und Öffentlichkeit gemeinsam davon eine Bereicherung auf dem Feld der Kultur erfahren.

Dr. Micha Braun

Die Bertolt Brecht Gastprofessur wird seit 2017 zweimal jährlich an herausragende internationale Künstler:innen aus den Bereichen Theater, Tanz, Performance- und Medienkunst vergeben. Wie geht es damit weiter?

Micha Braun: Wir freuen uns sehr, dass sich der Rat der Stadt auf Initiative des Referats Wissenspolitik und des Oberbürgermeisters im letzten Sommer entschieden hat, die Förderung für die Gastprofessur unbefristet zu verlängern. Ziel der Gastprofessur ist es, Studierende mit unterschiedlichen Praxisformen in Kontakt zu bringen, aber auch Leipzig als Stadt weiter zu internationalisieren und renommierte Persönlichkeiten nach Leipzig zu holen. So ist die Gastprofessur auch ein Transferprojekt in dem Sinne, dass Universität, Stadt und Öffentlichkeit gemeinsam davon eine Bereicherung auf dem Feld der Kultur erfahren.

Veronika Darian: Dafür konnten wir bisher immer sehr namhafte, international arbeitende und ausstrahlende Künstler:innen gewinnen. Letztes Semester war es beispielsweise die iranischstämmige Szenografin Shahrzad Rahmani, in diesem Semester Stefan Kaegi vom Performancekollektiv Rimini Protokoll, die beide mit unseren Studierenden an Kulturorten in der Stadt beziehungsweise im öffentlichen Raum arbeiten.

Wie werden Studierende der Theaterwissenschaft noch über die Arbeit des CCT mit Praxispartner:innen zusammengebracht?

Veronika Darian: Neben den szenischen Projekten der Bertolt Brecht Gastprofessur bieten wir in jedem Semester mindestens zwei sogenannte Theorie-Praxis-Transfer-Veranstaltungen an. Dafür laden wir weitere Expert:innen aus der Praxis, oft auch aus kooperierenden Kulturinstitutionen ein, bei uns zu unterrichten. Solche Praxisseminare sind nicht so sehr auf Regie, Szenografie oder Choreografie fokussiert wie die Gastprofessur, sondern auch auf Felder einer wirklich breit verstandenen theatralen oder kulturellen Praxis ausgerichtet, sei es Kultur- und Theaterkritik, sei es Theaterpädagogik, sei es Projekt- und Kulturmanagement. Diese Zusammenarbeit zwischen Studierenden und externen Partner:innen ist ein zentrales Element der Arbeit des CCT, auch zukünftig.

Portraitaufnahme von Dr. Veronika Darian

Nur im intensiven Austausch mit allen Beteiligten lässt sich herausfinden, wie die jeweiligen Bündnisse und Netzwerke gewachsen sind, was deren Mehrwert ausmacht und wie sich die Theaterszene im Ganzen verändert.

Dr. Veronika Darian

Wie bringt das CCT unter Ihrer Leitung seine Expertise im Sinne des Wissenstransfers in die Praxis ein?

Micha Braun: Wir führen beispielsweise im Sommer eine Begleitung des Festivals „Willkommen anderswo“ in Bautzen durch. Das Festival ist ein Ort, an dem Einheimische und neu Zugezogene sich im weitesten Sinne auf dem Feld des Theaters wirklich begegnen können. Das ist auch etwas, was ich als eine wichtige Aufgabe des CCT sehe: Solche Orte und Praktiken immer wieder in den Blick zu nehmen, zu highlighten und im akademischen Diskurs zu begleiten. Aber auch hier vor Ort bringen wir zum Beispiel bei der euro-scene im Herbst oder bei der Jahrestagung des Internationalen Theaterinstituts unsere Expertise und die unserer Studierenden in einen produktiven Austausch mit der künstlerischen Praxis.

Veronika Darian: Und auch die wissenschaftliche Beratung, Begleitung und Evaluation sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir haben schon mehrfach Evaluationen und wissenschaftliche Begleitungen durchgeführt, um verschiedene Institutionen und Netzwerke im Kultur- und Theaterbereich mit ihren jeweiligen Kooperationsstrukturen dabei zu unterstützen, auf gesellschaftliche und politische Herausforderungen so gut wie möglich zu reagieren. Unsere Expertise ist immer eng mit der Praxis verbunden, was unsere Arbeit besonders auszeichnet. Nur im intensiven Austausch mit allen Beteiligten lässt sich herausfinden, wie die jeweiligen Bündnisse und Netzwerke gewachsen sind, was deren Mehrwert ausmacht und wie sich die Theaterszene im Ganzen verändert. Man kann dabei rein auf die Zahlen gucken und Statistiken auswerten oder man nimmt Leute dazu, die Kenntnisse der Szene mitbringen und die jeweilige Arbeit auch in größeren Zusammenhängen kontextualisieren können. So ist unser Verständnis einer solchen wissenschaftlichen Begleitung auch Handlungsempfehlungen auszuarbeiten, die produktiv in die Zukunft weisen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Micha Braun im Interview
Micha Braun im Interview, Foto: Swen Reichhold

Gibt es neue Projekte, die zukünftig im Rahmen des CCT entstehen?

Micha Braun: Wir wollen uns im Rahmen eines Verbundprojekts stärker mit der Frage der gesellschaftlichen und historischen Verortung von Kultur- und Wissensinstitutionen beschäftigen. Die Frage der Verortung betrifft ja nicht nur die Theaterhäuser, sondern auch unsere Universität: Also wo steht die Universität Leipzig und wo verortet sich heute ein akademischer Diskurs an dieser Hochschule, zum Beispiel im Bereich kunst- und kulturwissenschaftlicher Forschung. Da spielt natürlich der Standort in Ostdeutschland, wo wir das einzige noch verbliebene Institut für Theaterwissenschaft sind, eine große Rolle. Das führt uns jetzt dazu, im Verbund mit vielen anderen Instituten, Fächern und Disziplinen an unserer Fakultät, aber auch darüber hinaus die Zeit der DDR und die Entwicklungen danach noch einmal gesondert in den Blick zu nehmen, weil zu den kulturellen und künstlerischen Praktiken und den Handlungsspielräumen künstlerischer Akteur:innen auch innerhalb staatlicher Institutionen im Osten tatsächlich noch relativ wenig Forschung vorliegt.

Veronika Darian: Wir wollen außerdem versuchen, stärker im Bereich Theaterpädagogik zu arbeiten und unsere Studierenden für verschiedene Formen kultureller Praxis zu sensibilisieren, die auf theatralen Praktiken basieren oder mit ihnen zusammenhängen. Theater bietet große Potenziale, sich spielerisch zu begegnen und mit theatralen Mitteln experimentell und sozusagen probeweise zu agieren.  Theaterpädagogik ist ein wichtiges Feld, weil es die Kompetenzen im Bereich kultureller und politischer Bildung paradigmatisch vereint. Wir denken, dass dies ein echtes Zukunftsfeld ist, da es Menschen nicht nur mit relevanten Fähigkeiten ausstattet, sondern potenziell auch sehr unterschiedliche Positionen spielerisch zusammenbringen kann.

Zum Schluss eine persönliche Frage an Sie: Spielen Sie selbst privat Theater?

Veronika Darian: Ich selbst spiele schon seit längerem kein Theater mehr, das überlasse ich den Profis. Aber der Kontakt mit unseren vielfältig interessierten Studierenden und unsere Kooperationen mit unterschiedlichsten Künstler:innen und Praxispartner:innen sind eine stete Quelle der Inspiration.

Micha Braun: Das geht mir genauso. Meine Zeit als Amateurschauspieler liegt schon länger zurück. Aber im stetigen Kontakt mit begeisterungsfähigen und neugierigen jungen Menschen und Macher:innen auf allen Feldern gegenwärtiger Theaterpraxis zu sein, macht einfach großen Spaß.

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