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Die Reihe „Gesichter der Uni Leipzig“ stellt regelmäßig die Menschen vor, die sich hinter unzähligen kleinen und großen Aufgaben an unserer Hochschule verbergen – im Studium, in der Universitätsverwaltung oder, so wie diesmal, in Forschung und Lehre. Die zum 1. Oktober 2020 neu berufene Heisenberg-Professorin für Internationale Beziehungen und transnationale Politik, Prof. Dr. Solveig Richter, hat uns einige Fragen beantwortet. Gerade erst wurde ihr und Co-Autorin Natasha Wunsch (ETH Zürich) der diesjährige „Best Paper Award“ des Arbeitskreises Europäische Integration e.V. in Kooperation mit der Schader-Stiftung verliehen.

Leipziger Universitätsmagazin: Frau Professorin Richter, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer jüngsten Auszeichnung! Worum genau geht es in der Publikation "Money, power, glory" – und was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Prof. Dr. Solveig Richter: Gemeinsam mit Natasha Wunsch analysiere ich in dem Fachaufsatz die Frage, warum die EU zwar in den letzten Jahren weiterhin die Länder des Westlichen Balkans umfassend unterstützt, aber letztlich die Länder in ihrem Demokratisierungsprozess stagnieren beziehungsweise sogar Rückschritte machen. Wir argumentieren, dass die EU es zwar mit dem Instrument politischer Konditionalität durchaus schafft, eine Angleichung von Verordnungen und nationalem Recht an EU-Recht zu erreichen, dies aber mit kontraproduktiven Wirkungen einhergeht, die zur Ausprägung von State Capture, also systematischer politischer Korruption, beitragen. Wir identifizieren in dem Artikel drei solcher Prozesse: Zum Ersten eröffnen umfassende Finanztransfers Anreize für Korruption („Money“). Zum Zweiten verringert der strenge und zügige Angleichungsprozess an EU-Recht innenpolitisch die Spielräume für kritische politische Debatten, von dem letztlich nur Regierungsvertreter profitieren („Power“). Und zum Dritten können sich viele Politiker mit EU-Offiziellen an ihrer Seite natürlich gut in der Öffentlichkeit verkaufen („Glory“). Dies heißt nicht, dass die EU ihre Unterstützung für die Länder verringern sollte, ganz im Gegenteil. Aber sie sollte dabei weniger ausschließlich mit Regierungen zusammenarbeiten, sondern wesentlich stärker noch unabhängige Parlamente und die kritische Zivilgesellschaft unterstützen.

So ein Preis ist eine ungeheuer tolle Auszeichnung – eine Anerkennung für uns, der unserer Forschung natürlich auch noch mal mehr Aufmerksamkeit verleiht. Wissen Sie, als Wissenschaftlerin forscht man ganz begeistert, findet gute Argumente und Zusammenhänge, die man dann in ein kurzes Paper packt, von dem man nach all den Begutachtungsprozessen gar nicht mehr weiß, ob eigentlich alles noch so gut und originell ist und es überhaupt auch jemand wahrnimmt. Und so ein Preis gibt uns dann doch eine gewisse Bestätigung, dass man einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag geleistet hat.

Was haben Sie studiert – und wo?

Ich habe Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden und für ein Auslandsjahr in Strasbourg in Frankreich studiert. Anschließend habe ich dann zunächst ein Praktikum bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Kroatien absolviert, bevor ich mit meiner Promotion an der TU Dresden und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) angefangen habe.
Aber eigentlich wollte ich gar nicht Sozialwissenschaften studieren, sondern hatte sogar kurz mit Mathe oder Physik geliebäugelt. Aber dafür hat mir vielleicht der Mut und der Rückhalt gefehlt, den MINT-Girls brauchen.

Was waren im Anschluss Ihre wichtigsten beziehungsweise Ihre letzten beruflichen Stationen?

Nach Abschluss meiner Promotion bin ich zunächst aus der klassischen Uni-Karriere ausgestiegen und habe eine Tätigkeit an einem Think Tank aufgenommen. Zwischen 2008 und 2012 habe ich an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin unter anderem Bundesregierung und Parlament zur EU-Erweiterungspolitik und zur Region des westlichen Balkans beraten. Aber mir hat die Lehre und Arbeit mit jungen Leuten doch ein wenig gefehlt, so dass ich 2013 dem Ruf der Universität Erfurt auf die Juniorprofessur für International Conflict Management gefolgt bin. Ich habe an der Willy Brandt School of Public Policy dabei ganz wesentlich den Studienschwerpunkt „Conflict Studies and Management“ ausgebaut und hoffentlich viele zukünftige Friedensnobelpreisträger ausgebildet. Diese letzten Jahre bis zum Wechsel nach Leipzig haben mich sehr geprägt – ich habe vorwiegend mit Studierenden und Doktorandinnen und Doktoranden aus dem sogenannten Globalen Süden zusammengearbeitet und damit noch einmal eine völlig andere Perspektive auf die Weltpolitik, aber gerade auch persönliche Lebenswege gewonnen. Ich hoffe sehr, dass ich diesen internationalen „Spirit“ mit in meine Arbeit an der Universität Leipzig einfließen lassen kann und bei vielen Studierenden damit auch ein wenig die Neugier für die Welt da draußen wecke.

Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet und was sind Ihre Schwerpunkte?

Fangen wir vielleicht zunächst mit meinen Schwerpunkten an: Innerhalb des Fachgebietes der Internationalen Beziehungen widme ich mich vor allem den Schwerpunkten „Europäische Außenpolitik“ und „Friedens- und Konfliktforschung.“ Ich habe von Beginn meiner wissenschaftlichen Karriere an dazu geforscht, wie Demokratie in Transitions- und Nachkriegsgesellschaften gefördert werden kann und welche Instrumente der Konfliktprävention und Friedensschaffung effektiv sind. Zunächst lag mein regionaler Fokus vor allem auf dem westlichen Balkan – aber mittlerweile habe ich mich auch auf andere Länder der europäischen Nachbarschaft und im Globalen Süden, etwa Kolumbien, spezialisiert.

Mich fasziniert, wie die Menschen nach Krieg und Konflikt an einer friedlichen Gesellschaft arbeiten, sich dafür mit viel Hoffnung und Energie einsetzen und dabei auch eigene offene Wunden heilen. Und natürlich bin ich auch nicht völlig frei von Wünschen und Visionen – die Idee, dass eine friedlichere Welt möglich ist, dass auch nach blutigen Konflikten positiver Wandel geschehen kann, und dass Demokratie schon die besten Voraussetzungen für eine Integration aller Interessen bietet. Sicher spielt dabei auch meine eigene Biografie eine Rolle, denn die friedliche Revolution war für mich nicht nur als Kind ein überwältigendes Erlebnis, sondern hat auch meinen beruflichen Lebensweg stark geprägt. Und wenn ich als Wissenschaftlerin und Dozentin dazu beitragen kann, die Welt ein kleines Stückchen friedlicher zu machen, wäre ich sehr stolz.

Haben Sie sich für Ihre Tätigkeit an der Universität Leipzig ein bestimmtes Forschungsziel gesetzt? Welches?

In den kommenden drei Jahren werde ich mich in der Forschung vorwiegend meinem Heisenberg-Vorhaben widmen, welches von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Es heißt „Blended Legitimacy: Nichtstaatliche Herrschaftsakteure und der Wandel politischer Ordnung in Nachkriegsgesellschaften“. Ganz einfach formuliert, geht es darum, wie etwa frühere Rebellengruppen oder Klientelnetzwerke Politik betreiben und wie dies seitens der Bevölkerung aufgenommen wird. Ich hoffe natürlich, so bald wie möglich dafür auch wieder Feldforschung machen zu können, etwa in Bosnien und Herzegowina oder Kolumbien mit demobilisierten Kämpferinnen und Kämpfern der Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC). Das ist natürlich gerade sehr schwierig, aber letztlich doch essentiell, denn allein vom Schreibtisch zu Hause lernt man als Friedens- und Konfliktforscherin leider nur schwer. Ich habe darüber hinaus noch das große Ziel, meine wissenschaftlichen Netzwerke in den Globalen Süden auszubauen und zu verstetigen. Gerade gebe ich mit einem Kollegen aus Indien ein Handbuch zu „Peace and Conflict Studies: Perspectives from the Global South“ heraus.

Würden Sie bitte kurz einige Schwerpunkte nennen, die Sie in der Lehre setzen wollen?

Es ist sicher gerade sehr schwierig, wenn man mit großen Ambitionen in der Lehre starten will, aber dann letztlich durch die Corona-Pandemie ausgebremst wird. Ich stehe eigentlich für eine sehr interaktive, problemlösungs- und anwendungsorientierte Lehre und arbeite gern auch mit etwas ungewöhnlichen didaktischen Methoden, wie etwa Lego oder Theater – wenn es denn mal wieder möglich wird. Im Moment sind daher meine Schwerpunkte eher darauf ausgerichtet, die Vorteile digitaler Lehre zu nutzen, zum Beispiel größere Flexibilität bei den Studierenden, gleichzeitig aber dennoch auch Interaktionen und Diskussionen in einem „virtual classroom“ zu ermöglichen und das Training von so wichtigen Kompetenzen für Politikwissenschafterinnen und Politikwissenschaftler wie Präsentieren und Argumentieren nicht aus den Augen zu verlieren.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: „Die Universität Leipzig ist für mich…“

…wie eine Heimkehr. Nur hier kann ich meine Faszination für andere Kulturen und friedlichen Wandel in der Welt mit einem Wirken zu Hause in und für Sachsen verbinden.

Antworten Sie gern mit persönlichem Bezug oder allgemein: Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Im Moment wünschte ich mir nichts mehr als den Zauberstab der Hermine aus Harry Potter, um die Corona-Pandemie mit einem Schwung zu beenden – aber bitte nicht in zehn Jahren, sondern in den nächsten zehn Tagen. Man kann ja Träume haben.

Welche Hobbys haben Sie?

Nun, ich bin sehr sportlich und muss mich daher in meiner Freizeit eigentlich immer irgendwie bewegen. Ich spiele Volleyball, gehe zum Turnen, fahre Ski und, und, und. Und ich liebe Fliegen! Ich mache tatsächlich gerade meinen Pilotenschein fürs Gleitschirmfliegen.

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

"Peace begins with a smile." Dies stammt von einer Friedensnobelpreisträgerin …

Vielen Dank.

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