Pressemitteilung 2008/112 vom

Nach erfolgreicher Evaluation wird der Sonderforschungsbereich 586 "Differenz und Integration- Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der Alten Welt", unter Beteiligung der Universität Leipzig, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für weitere vier Jahre bis 2012 gefördert. Das Fördervolumen beträgt rund sechs Millionen Euro.

Ein interdisziplinäres Forscherteam arbeitet in insgesamt 15 Projekten zusammen. Beteiligt sind die Universitäten Leipzig und Halle-Wittenberg sowie mehrere hochrangige außeruniversitäre Forschungsinstitutionen (Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung Halle, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig, Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Orient-Institut Beirut). Während die Grundlagenforschung im Zentrum des SFB steht, sollen einzelne Befunde auch in die Entwicklungspraxis in den Untersuchungsgebieten einfließen, um zur Risikoabfederung und Armutsminderung beizutragen. Mittels Einbindung einheimischer Wissenschaftler wird zudem die wissenschaftliche Nachhaltigkeit erhöht, was dem Schreiben 'eigener’ Geschichte Autorität verleiht und strukturbildend die Forschungskapazitäten vor Ort stärkt.

"Dass wir weiterhin gefördert werden, ist ein großartiger Erfolg für die Geistes- und Sozialwissenschaften der Leipziger Universität", konstatiert Sprecher Prof. Dr. Jörg Gertel. "Wir stellen damit unsere 'Drittmittelfähigkeit’ unter Beweis, insbesondere wenn man bedenkt, dass lediglich 33 Sonderforschungsbereiche bundesweit in den gesamten Geistes- und Sozialwissenschaften gefördert werden."

Während der nächsten vier Jahre nimmt der SFB "Differenz und Integration" vier zentrale Themenkomplexe in den Blick:

(1) Herrschaft. Im Mittelpunkt stehen wechselnde Zentrum- und Peripheriebeziehungen zwischen Nomaden und Sesshaften in der longue durée, die bis in aktuelle Gesellschaftsformierungen hineinwirken. Untersucht wird die gesellschaftliche Verfasstheit von Raum und Territorien; und zwar von frühen Staaten, Großreichen, modernen Nationalstaaten bis hin zu transnationalen Blockbildungen. Von erkenntnisleitender Bedeutung ist, inwieweit Verhältnisse ökonomischer Ungleichheit, asymmetrischer Machtbeziehungen und (konstruierter) kultureller Widersprüchlichkeit die Interaktionen zwischen Nomaden und Sesshaften konfigurieren und sich als strukturbildende Muster der Gesellschaftsformationen niederschlagen und gegenwärtig auch neue - territorial fragmentierte - Peripherien hervorbringen.

(2) Mobilität. Mobilität wird als Phänomen beleuchtet, welches jenseits nomadischer Weidewirtschaft immer wieder auch aus nomadischen Gesellschaften heraus in sesshafte Kontexte hineinreicht - etwa in Form von Arbeitsmigration - und das gegenwärtig von führenden Soziologen als bestimmendes Charakteristikum der späten Moderne verstanden wird. In den Blick genommen wird hier einerseits die unmittelbare Bedeutung von Mobilität in ihren Rückwirkungen auf pastorale Produktions- und Reproduktionssysteme, andererseits geht es theoriebildend um die Ankopplung an die sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung, die weitgehend unhistorisch angelegt ist und bisher ohne Bezug zur Nomadismusforschung bleibt.

(3) Repräsentation. Beleuchtet werden die Konsequenzen, die aus den konkreten sowie fiktiven Begegnungen von Nomaden und Sesshaften und ihren diskursiven Bedeutungszuweisungen hervorgehen; also, die rekursive Kopplung von (Alltags)-Praxis und (Text)-Wissen, in die sowohl Abgrenzungs- und Differenzierungsprozesse als auch Aneignungs- und Integrationsvorgänge eingebunden sind. Analysiert werden zum einen Fremdperspektiven, wenn sich etwa Bilder über Nomaden (bzw. die Konstruktion des 'Fremden’) zu Handlungen für/gegen Nomaden transformieren und in Interventionen materialisieren; zum anderen geht es um Eigenperspektiven, wenn etwa aus vorgestellten Gemeinschaften Identitäten abgeleitet, Indigenität postuliert und damit der Zugriff auf Ressourcen legitimiert wird.

(4) Großereignisse. (Natur)-Katastrophen und zeitgeschichtliche Erschütterungen in Form von klimatischen Schwankungen, Dürren, Epidemien, Hunger und Krieg stellen zentrale Momente der Gesellschaftsformation dar. Inwieweit fallen diese Bedrohungen und ihre Bewältigungen bei Nomaden und Sesshaften unterschiedlich aus, und welche Bedeutung spielt dabei der ungleiche Zugang zu und die Verfügung über Ressourcen? Untersucht werden dabei die Entstehung von Risiken, der Ablauf von Krisen, die Möglichkeiten der Abfederung, Pufferung und Bewältigung sowie die Auswirkungen gesellschaftlicher Strukturbrüche. Ziel ist es, durch die Kombination historischer Analysen, gegenwartsbezogener Entwicklungsforschung und naturwissenschaftlicher Verfahren an einer Modellbildung nachhaltiger menschlicher Sicherheit für (ehemalige) Nomaden unter den Bedingungen des globalen Wandels zu arbeiten.

 

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