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Shakespeare, Dickens und der Klimawandel? Nicht nur klassische Texte, auch aktuelle politische Themen spielen in der Literaturwissenschaft eine Rolle. Gemeinsam mit etwa 25 Studierenden, allesamt Bachelor- oder Austauschstudierende, untersucht Prof. Dr. Miriam Nandi vom Institut für Anglistik, wie sich zeitgenössische literarische Texte aus Großbritannien, Kanada und Indien mit der Klimakrise beschäftigen. "Es ist toll zu beobachten, wie die Studierenden ihre eigenen Ansätze und Lesarten einbringen, wie eigenständig sie denken und wie politisch sie die Texte lesen", schwärmt die Dozentin.

Miriam Nandi ist es wichtig, sich in ihren Lehrveranstaltungen nicht nur auf England zu konzentrieren: Seit April 2021 ist sie als Professorin für Neuere und neueste britische Literaturwissenschaft im globalen und postkolonialen Rahmen am Institut für Anglistik tätig. Vorher hat sie unter anderem an der Universität Freiburg und am University College Freiburg gearbeitet und dort mit einer Kollegin aus den Naturwissenschaften die Idee entwickelt, gemeinsam transdisziplinär zum Thema Klimawandel zu forschen und zu lehren. Ihr aktuelles Seminar legt seinen Fokus zwar klar auf die Literaturwissenschaft, bietet den Studierenden jedoch auch ausreichend Möglichkeiten, disziplinenübergreifend zu denken.

Gemeinsam lesen Nandi und ihre Studierenden zeitgenössische literarische Texte, die sich mit dem Klimawandel und seinen möglichen Folgen auseinandersetzen. Der Roman "Gun Island" des indischen Autors Amitav Ghosh handelt beispielsweise von Klimaflüchtlingen, der Roman "Oryx and Crake" der kanadischen Autorin Margaret Atwood spielt in einer Welt, in der die Menschheit systematisch ausgerottet wurde, um die Ökokatastrophe zu verhindern – keine leichte Kost.

  • "Wichtig ist, dass eine theoretische Reflexion stattfindet. Die Studierenden bringen sich in einen akademischen Diskurs ein und denken beispielsweise darüber nach, warum gemeinschaftliche politische Lösungen, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen, häufig so weit weg erscheinen."
    Prof. Dr. Miriam Nandi

 

Das sind schwierige Themen, weiß auch Miriam Nandi: „Aber genau da findet das Lernen statt. Wenn wir gezwungen werden, uns mit Themen zu befassen, die gerade außerhalb unserer eigentlichen Komfortzone liegen." Ihre Studierenden machen begeistert mit und zeigen, dass Nandis Konzept aufgeht. "Es ist toll zu beobachten, wie die Studierenden ihre eigenen Ansätze und Lesarten einbringen, wie eigenständig sie denken und wie politisch sie die Texte lesen", schwärmt die Dozentin.

Das Seminar hilft den Studierenden dabei, sich das nötige Handwerkszeug für Literaturanalysen anzueignen: Die Studierenden erwerben und vertiefen ein literaturwissenschaftliches Vokabular, indem sie gemeinsam lange und komplexe Prosatexte der englischsprachigen Gegenwartsliteratur lesen und sich darüber verständigen, sei es in Kleingruppen, in thematischen Kurzvorträgen oder in einer offenen Diskussionsrunde. So üben die Studierenden, Texte zu analysieren, ihre eigenen Gedanken zu präsentieren und dabei selbst Thesen zu entwickeln und zu verteidigen.

Dabei haben es einige Methoden aus der digitalen Lehre in den Präsenzunterricht geschafft: In den vergangenen Semestern hat Nandi das Etherpad als gute Möglichkeit schätzen gelernt, um kollaborativ und unkompliziert Ergebnisse festzuhalten. Heute nutzt sie es noch immer gerne, denn so können sie und ihre Studierenden gemeinsam und parallel an Notizen arbeiten. Dennoch ist Miriam Nandi froh, nun wieder ohne dazwischen geschalteten Bildschirm mit ihren Studierenden ins Gespräch zu kommen. "Die persönliche Interaktion ist toll", sagt sie. "Da kann Zoom nicht mithalten."

  • "Ich will den Studierenden Texte anbieten, die sie aus ihrer Komfortzone herausholen"
    Prof. Dr. Miriam Nandi

 

Gerade haben sich Studierende ihres Seminars an der 3. Public Climate School beteiligt. Ganz im Sinne von Transdisziplinarität haben Nandis Studierende eine Stadtführung durch Leipzig geplant und organisiert, die sich auf die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz fokussiert und den Teilnehmenden die Möglichkeit gibt, Leipzig ganz neu zu erkunden.

Das Besondere daran: Die Stadtführung ist Teil der Projektarbeit, die die Studierenden als Prüfungsleistung für das Seminar ablegen und in der sie entweder interdisziplinär arbeiten oder sich auf einen literarischen Text konzentrieren. Beides ist fordernd, schafft jedoch einen Rahmen für spannende und individuelle Projekte, findet Nandi. Die Studierenden, die die Stadtführung geplant haben, erstellten hierfür eigens eine Karte, durften also kreativ werden, müssen aber auch weitere Aspekte schriftlich ausarbeiten. "Wichtig ist, dass eine theoretische Reflexion stattfindet. Die Studierenden bringen sich in einen akademischen Diskurs ein und denken beispielsweise darüber nach, warum gemeinschaftliche politische Lösungen, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen, häufig so weit weg erscheinen."

Vor Corona, erzählt Nandi, ist sie selbst mit ihrer Tochter regelmäßig auf Fridays-for-Future-Demonstrationen gegangen. In ihrem Seminar sollen sich die Studierenden nun Gedanken darüber machen, welche Rolle Literatur heutzutage spielen kann und sollte, gerade in Bezug auf Themen, die für alle, Studierende und Dozierende, so greifbar sind. Dazu gehört auch, sich manchmal unangenehmen Fragen zu stellen: Wie kann man angesichts der aktuellen Situation überhaupt noch literarisch schreiben? Hat es die Literatur verschlafen, sich mit der Klimakrise auseinanderzusetzen?

"Ich will den Studierenden Texte anbieten, die sie aus ihrer Komfortzone herausholen." Shakespeare und Dickens können das auch, keine Frage. Aber Nandi zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, sich auch mit zeitgenössischen Texten intensiv zu beschäftigen.

Das Seminar „Environmental Literatures across the Globe“ ist eine von über 750 philologischen Lehrveranstaltungen im Sommersemester 2022.

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