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Eine KI, die Studierenden Fragen stellt, statt diese zu beantworten? Das ist das neue Konzept des KI-Chatbots „Dialogos BNE“. Das Prinzip: sokratische Gesprächsführung statt Antworten auf Fragen liefern. So soll die KI Studierende zum selbstständigen Denken beim Thema Nachhaltigkeit animieren. Entwickelt wird der Chatbot vom Team E-Learning an der Universität Leipzig. Im Interview berichten die Entwicklerinnen Stefanie Falck, Kamilla Skudelny, Franziska Brenner und Konstanze Pabst von ihren Erfahrungen.

In welchem Rahmen wird die von Ihnen entwickelte KI in der Lehre angeboten?

Stefanie Falck: Durch die Förderung der Stiftung für Innovation in der Hochschullehre „Freiraum“ können wir – meine Kollegin Franziska Brenner und ich – einen KI-Chatbot im sokratischen Dialog und das didaktische Konzept dazu im Projekt „Digitale Nachhaltigkeit in der Lehre (DiNaLe)“ entwickeln.

Unser KI-Chatbot „Dialogos BNE“ wird in der Ringvorlesung des Zertifikats „Handlungskompetenz für nachhaltige Entwicklung“ eingesetzt. Diese wird in der Physik angeboten und ist auch im Schlüsselqualifikationen-Bereich verfügbar. Bisher war es so, dass in der Vorlesung eine Hausaufgabe gegeben wurde, damit sich Studierende auf die Inhalte der nächsten Vorlesung vorbereiten konnten. Meistens haben sie das Internet dazu genutzt und sich belesen. Doch dieses Semester sollen die Studierenden gezielt den KI-Chat „Dialogos BNE“ dazu verwenden – auf freiwilliger Basis.

Der Chatbot wird ab dem Wintersemester angeboten. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Falck: Dieser Chatbot ist so gestaltet, dass er keine Antworten mit Informationen ausgibt. Die Studierenden sollen mit ihm als sokratischen Dialogpartner arbeiten. Im sokratischen Chat ist es so, dass das Gegenüber – in diesem Fall der KI-Bot – Rückfragen oder Verständnisfragen stellt, um die Fragestellenden in deren Gedankengang zu leiten und zu unterstützen. 

Kamilla Skudelny: Der Sinn dahinter ist es, das bestehende Wissen zu diesem Thema zu aktivieren. Die Fragen sind so formuliert, dass Studierende in sich gehen und schauen, welches Vorwissen, vielleicht auch welche Vorurteile, sie haben und diese reflektieren.

Franziska Brenner: Auf technischer Seite ist das Besondere, dass der „Dialogos BNE“ sowohl als sokratischer Gesprächspartner reagiert, der wie eben erwähnt, Rückfragen stellt und das Gespräch leitet, aber auch aus einer Wissensdatenbank Inhalte wiedergeben kann, die Hinweise zum Weiterdenken geben kann. Diese Verbindung eines sokratischen Chats mit der sogenannten Retrieval Augmented Generation (kurz: RAG) haben wir in unseren Recherchen nicht gefunden. Wir sind gespannt, wie diese Ansätze ineinandergreifen und inwiefern Studierende damit im Lernprozess unterstützt werden können.

Welche Themen werden in der Vorlesung und dann auch konkret im Chat angesprochen?

Falck: Alles mit Nachhaltigkeit – das ist auch das Thema der Vorlesungen. Prof. Dr. Jürgen Vollmer ist der Verantwortliche für das Modul und er versucht, für jedes Wintersemester Lehrende mit Themen aus verschiedenen Fachbereichen mit in dieses Modul zu holen. Wir haben zum Beispiel „Die Klimakrise“, „Auswirkungen bei der Klima-Biosphäre“, „Klimawandel in der Arktis“, „Krieg und Krisen“ – dort werden auch die gesellschaftlichen Aspekte, unter anderem aus der sozialpsychologischen Perspektive beleuchtet.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem KI-Chatbot?

Falck: Wir möchten den Studierenden die Möglichkeit geben, einen KI-Chatbot anders zu nutzen, als sie es vielleicht gewöhnt sind. Statt auf Fragen mit einer vorgefertigten Antwort zu reagieren, können sie mit dem „Dialogos BNE“ durch ein Gespräch im Lernprozess begleitet werden. Hier möchten wir als Team E-Learning der Befürchtung‚ wenn alle nur noch mit KI arbeiteten, könnten wir das selbstständige Denken verlernen, aktiv entgegensteuern. Studierende sollen ihr Wissen aktiv abrufen und dadurch selbstbewusster an den Lernprozess herangehen.

Außerdem wollen wir unseren Chatbot im Sinne der Nachhaltigkeit als Open-Source-Software zur freien Verfügung bereitstellen und unsere Erfahrungen mit anderen Bildungseinrichtungen teilen. 

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Zu sehen ist als Screenshot eine Seite mit Dialogen. Dabei fragt die KI die Nutzenden zum Beispiel: Wie definieren Sie Nachhaltigkeit im Kontext des Studiums oder des Campuses? Und der Mensch antwortet: Nachhaltig agieren - also Ressourcen schonen.
Der selbst entwickelte KI-Chatbot „Dialogos BNE“. Hier stellt die KI die Fragen und Menschen sollen antworten, um zu lernen. Foto: Screenshot

Welche Herausforderungen sehen Sie denn in der Anwendung?

Falck: Die große Herausforderung wird sein, dass wir den Studierenden vermitteln müssen, dass es sich um eine andere Art von Chatbot handelt. Natürlich werden sie den Bot herausfordern und Fragen stellen, bei denen man Informationen als Antwort erwartet. Bisher ist er gut trainiert, dass er das dann nicht macht. Aber wir sind gespannt, ob ihn jemand knacken kann. Das ist auch ein Lernprozess für uns. 

Skudelny: Es besteht ein gewisses Frustrationspotenzial, wenn die Antwort nicht, wie von anderen KI-Chats gewohnt, kommt. Das könnte zum Problem führen, wenn der ein oder andere einfach ein bisschen faul ist und nicht versucht zu reflektieren. Ich glaube, jeder von uns ist manchmal ein bisschen faul und dann könnte der gewollte Nutzen verpuffen.

Falck: Ich würde bei den Herausforderungen noch hinzufügen, dass wir mit sehr vielen Projektpartnern verknüpft sind. Nicht nur mit Professor Vollmer, sondern auch mit den Vortragenden. Auf deren Zuarbeit sind wir angewiesen. Und wir waren sehr intensiv mit unserer engagierten Datenschutzbeauftragten und dem Justitiariat im Austausch. Die juristischen Aspekte – Einverständniserklärungen, Datenschutz, Verwendung von Materialien – haben wir in der Projektplanung etwas unterschätzt.

Skudelny: Man kann es aber auch so sehen: Wir haben, auch für nachfolgende Projekte, dokumentiert, worauf geachtet werden muss. Wir trainieren die KI zum Beispiel nicht, sondern nutzen das Verfahren der Retrieval Augmented Generation, also eine Wissensdatenbank für die KI, die sie aber nicht zum Lernen verwendet. Und auch das sind alles Unterschiede im Urheberrecht, bei denen wir jetzt schauen müssen, worauf geachtet werden muss. Das können wir auch anderen Projekten quasi mit als Handreichung weitergeben. Das sind viele hilfreiche „Lessons Learned“ für die Zukunft der Hochschulbildung.

Also noch viel zu lernen. Sowohl wie die Studierenden darauf reagieren als auch, wie das technisch dann tatsächlich umsetzbar ist. Welchen Tipp würden Sie Kolleg:innen geben, die KI-gestützte Methoden in ihrer Lehre ausprobieren möchten?

Falck: Einfach mal ausprobieren! Aber immer den umfassenden rechtlichen Bereich beachten. Nur wegen der KI ist das nicht hinfällig. Wir vom E-Learning unterstützen dabei auch gern. Wir haben das KI-Netzwerk, unsere Knowledge-Base-Seite, wo man sich zum Thema KI informieren kann und man kann uns gerne ansprechen. Und ich finde, wenn man die Unsicherheiten vielleicht auch offen mit den Studierenden kommuniziert, ist das auch gar nicht schlimm. 

Brenner: Ich würde noch hinzufügen, dass wir KI als Chance begreifen können, gemeinsam mit den Studierenden Neues zu lernen, Potenziale und Grenzen auszuloten. Ähnlich wie in den digitalen Semestern können Studierende und Lehrende diese Technologie als weiteres Werkzeug in Bildungsprozessen entdecken. Dafür muss nicht alles perfekt sein. Fehler sind auch hier Teil des Lernens.

Wir haben im Rahmen der Projektarbeit sehr viel im Bereich Recht dazugelernt. Es ist sehr erstaunlich, wie viele Aspekte zusätzlich beachtet werden müssen und wo die Rechtslage noch nicht ausreichend geklärt ist.

Kamilla Skudelny

Welche überraschende Erkenntnis haben Sie in der Beratung zum Einsatz von KI in der Lehre gewonnen?

Skudelny: Wir sensibilisieren zu den Besonderheiten im Datenschutz. Dafür gibt es ein Schulungsportfolio. Was gebe ich in eine KI ein, worauf muss ich achten? Also dass nicht alles eingegeben wird in die KI, wie zum Beispiel Matrikelnummer oder Material von Lehrenden. Weiterhin haben wir im Rahmen der Projektarbeit sehr viel im Bereich Recht dazugelernt. Es ist sehr erstaunlich, wie viele Aspekte zusätzlich beachtet werden müssen und wo die Rechtslage noch nicht ausreichend geklärt ist.

Brenner: In Workshops mit Lehrenden wurde immer wieder das Thema Nachhaltigkeit angesprochen. Bei der Recherche zu unserem Lehr- und Lernportfolio ist uns dann aufgefallen, dass das Thema in den meisten Schulungsmaterialien und Selbstlernkursen kaum aufgegriffen wird. Daher haben wir diesen Aspekt in unserem Portfolio ein eigenes Kapitel gewidmet.

Konstanze Pabst: Mein Thema waren in letzter Zeit Plagiate, weil ich mich mit der Prüfung einer Software für das Rektorat auseinandergesetzt habe. Es ist erstaunlich und besorgniserregend zugleich, dass bisher noch keine Software die Nutzung von KI feststellen kann. Allgemeine Befragungen zeigen, dass ein Großteil der Studierenden generative KI für ihre Arbeiten nutzt. Um guter wissenschaftlicher Praxis gerecht zu werden, muss der Einsatz von Quellen – das schließt auch die Nutzung von KI ein – kenntlich gemacht werden und nachvollziehbar sein. Für mein Empfinden ist das die größte Hürde, mit der Lehrende aktuell zu tun haben. Aber nicht nur an unserer Universität, sondern allgemein im wissenschaftlichen Kontext. Ich kann es als Lehrende nicht nachweisen, ob die Leistung von Studierenden mit einer KI erstellt wurde. Umso wichtiger ist es, dass wir Studierende zu einem verantwortungsvollen Umgang mit KI befähigen, was wir sowohl mit dem Schulungsportfolio als auch mit den KI-Netzwerktreffen erreichen möchten. Ich würde mir wünschen, dass wir hier noch weitere Angebote als Universität in dieser Richtung schaffen. 

  • Das Projekt „Digitale Nachhaltigkeit in der Lehre (DiNaLe)“ wird geleitet von Stefanie Falck, Franziska Brenner, Jan-Niklas Zutt und Maria Beltz.
  • „Sokratischer Chat“: Anders als beispielsweise ChatGPT antwortet der Chatbot nicht auf gewohnte Weise auf die Fragen der Studierenden. Das Gegenteil passiert. Nachdem ein Thema ausgewählt wurde, regt die KI zum eigenen Nachdenken an, indem sie Fragen stellt und auf diese Eingaben eingeht.
  • BNE – Bildung für nachhaltige Entwicklung: An der Universität Leipzig kann das „Zertifikat für nachhaltige Entwicklung“ (BNE-Zertifikat) erworben werden. Im Rahmen des Programms sollen Studierende dazu befähigt werden, komplexe gesellschaftliche Fragen zur nachhaltigen Entwicklung aus vielfältigen Blickwinkeln zu betrachten und diese fächerübergreifend zu diskutieren. 

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