Pressemitteilung 2021/134 vom

Bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit im Jahr 1896 waren Frauen lediglich als Zuschauerinnen gern gesehen. Zu den Wettkämpfen antreten durften sie nicht. Inzwischen hat sich in Sachen Geschlechtergleichstellung auch in der olympischen Bewegung viel getan. Seit den Spielen 2012 sind in allen olympischen Sportarten auch Frauen am Start. Mittlerweile stellen sie nahezu die Hälfte der Aktiven bei den Olympischen Sommerspielen. Doch auch bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio, die am kommenden Freitag eröffnet werden, liegt diesbezüglich noch einiges im Argen, findet Dr. Petra Tzschoppe. Sie ist Sportsoziologin an der Universität Leipzig und Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).

Frau Dr. Tzschoppe, die Olympischen Spiele in Japan bringen mit Blick auf das Thema Geschlechtergerechtigkeit einige Neuerungen. Welche sind das?

Das Etikett „geschlechterausgewogene Spiele“ ist mit Blick auf die Aktiven durchaus verdient. Der Anteil der Sportlerinnen wird bei 49 Prozent liegen. Mit neuen Disziplinen wurde die Zahl der Wettbewerbe für Frauen erhöht, etwa im Kanurennsport oder mit der 1.500-Meter-Distanz im Schwimmen. Einen guten Impuls geben auch neue Mixed-Wettkämpfe, z.B. im Schwimmen, Triathlon und Judo. Sehr gespannt bin ich auch auf die gemischte 4 x 400-Meter-Staffel in der Leichtathletik. Neu könnte auch sein, dass Turnerinnen mit langem Wettkampfanzug antreten und nicht wie bisher im ultraknappen Dress. Sie entscheiden selbst, wie sie ihren Körper präsentieren. Das sind Signale, die auch vom gewachsenen Selbstbewusstsein der Athletinnen zeugen. 

Gibt es etwas, das mit Blick auf die Geschlechterparität bei Olympia noch schief läuft?

Da gibt es einiges. Schauen wir uns nur an, wie die Geschlechterverteilung beim Betreuungspersonal ist. Bei den letzten vier Olympischen Spielen seit 2010 lag der Anteil der Trainerinnen jeweils bei 10 oder 11 Prozent. Das wird auch in Tokio noch nicht gravierend anders sein. Im Speziellen stört mich, dass das deutsche Team keinen Beitrag leistet, dieses Missverhältnis zu verringern, wenn der Anteil akkreditierter Trainerinnen für Tokio gerade mal acht Prozent beträgt. Bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang waren von den 80 Trainerinnen und Trainern des deutschen Teams sogar nur zwei weiblich. Da bleibt also noch viel zu tun. Das gilt in ähnlicher Weise für Kampf- und Schiedsrichterinnen. Auch ihr Anteil lag bei den vergangenen Spielen unter 30 Prozent. Ebenso sind Sportjournalistinnen noch immer deutlich in der Unterzahl. Das spiegelt sich dann auch in einer unausgewogenen Sportberichterstattung wider. Mit Ausnahme Olympischer Spiele erhalten Athletinnen in der Sportberichterstattung durchschnittlich nur zehn Prozent der medialen Aufmerksamkeit. Und nicht zuletzt läuft noch nicht alles in zeitgemäßen Bahnen, wenn wir fragen, wo Frauen in den Führungspositionen im Sport sind. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat bis 1981 gebraucht, um die erste Frau in dieses Gremium zu kooptieren. 85 Jahre waren die Herren der Ringe unter sich geblieben. Allerdings hat es in den letzten Jahren erkennbare Bereitschaft und Aktivitäten für Veränderungen gegeben, so das dem IOC mittlerweile 37,5 Prozent Frauen angehören. Soweit sind viele Nationale Olympische Komitees noch nicht, und erst recht nicht die meisten Internationalen Sportverbände. 

Woran liegt es, dass so wenig Trainerinnen mit nach Japan fliegen?

Die Entscheidung, wer die Aktiven bei den Spielen betreut, treffen die jeweiligen Verbände für ihre Sportarten. Der Anteil von Trainerinnen auf der Bundesebene ist ohnehin schon sehr niedrig und wenn es um die Teilnahme an den Spielen geht, wird noch einmal selektiert. Es gibt verschiedene Gründe für den generell so geringen Anteil von Trainerinnen, die meisten haben mit überholten Rollenbildern zu tun. Das Argument etwa, dass dieser Beruf nicht familienfreundlich ist, betrifft ja alle. Auch Männer haben Familie und wollen zunehmend Zeit für ihre Kinder haben. Oft fängt es schon damit an, dass Sportler bereits während ihrer Leistungssportkarriere von ihrem Verband angesprochen werden, ob sie aktiven Zeit als Trainer arbeiten möchten, Sportlerinnen hingegen nicht. Das ist einfach nicht klug, denn so geht den Verbänden sehr viel Expertise und Kompetenz verloren.

Was würden Sie sich als DOSB-Vizepräsidentin Frauen und Gleichstellung angesichts dieses noch immer herrschenden Ungleichgewichts für die nahe Zukunft wünschen?

Ich wünsche mir zum Beispiel, dass über die sportliche Leistung der Athletinnen in gleicher Weise berichtet wird wie über die der Männer. Das gilt für den Umfang der Berichterstattung, aber auch für den Inhalt. Hier geht es häufig um das Aussehen der Sportlerinnen, es dominieren herkömmliche weibliche Geschlechterklischees. Es sollte stattdessen um eine faire Darstellung und Wertschätzung ihrer sportlichen Leistungen gehen. Der DOSB verfolgt dieses Anliegen seit Jahren und hat vor wenigen Tagen eigens eine Kampagne für geschlechtergerechte Darstellung von Frauen in den (Sport)Medien initiiert. Und mit Blick auf Tokio wünsche ich mir, dass Olympische und Paralympische Spiele rundum geschlechterparitätisch werden. Von Null Olympiateilnehmerinnen vor 125 Jahren in Athen auf fast 50 Prozent heute ist eine Botschaft, die zeigt, was auch auf anderen Feldern möglich ist. Mit ihrer starken weltweiten Ausstrahlung können sie so Impulse für Geschlechtergerechtigkeit nicht nur im Sport, sondern darüber hinaus in die gesamte Gesellschaft senden. 

Hinweis:
Dr. Petra Tzschoppe ist eine von rund 200 Expertinnen und Experten der Universität Leipzig, auf deren Fachwissen Sie mithilfe unseres Expertendienstes zurückgreifen können.

 

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