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Anlass für die Übergabe medizinisch historischer Objekte an das Karl-Sudhoff-Institut war der offizielle Eintritt in den Ruhestand von Dr. Thomas M. Goerlich. Doch der Uni-Alumnus und Mediziner denkt auch nach mehr als 40 Jahren am Standort nicht ans Aufhören. Der Anästhesist und Notarzt hat viel erlebt, ist mit seiner Arbeit an der Universitätsmedizin aber noch nicht fertig.

Operationsinstrumente wie Schere, Pinzette und Skalpell präsentieren die Kupferstiche aus dem 18. Jahrhundert im hölzernen Bilderrahmen. Es ist nur eines von mehreren Objekten, welches Dr. Thomas M. Goerlich für die Sammlung des Karl-Sudhoff-Instituts für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften an Direktorin Prof. Dr. Dr. Ortrun Riha überreicht. Das historisch bedeutsamste Objekt ist ein golden gerahmtes Original-Staatsexamen vom 18. Juli 1870, gezeichnet unter anderem vom Physiologen Prof. Carl Ludwig. „Bei Ihnen weiß ich die Stücke in guten Händen“, betont Dr. Goerlich mit Blick auf Prof. Riha. Anlass für die kürzlich erfolgte Übergabe ist sein Eintritt in den offiziellen Ruhestand. Der 31. Mai 2022 war der letzte Arbeitstag von Dr. med. Thomas M. Goerlich.

Tags zuvor war er für das Universitätsklinikum Leipzig (UKL) als Notarzt unterwegs. Die Rettungsleitstelle schickte ihn am Morgen um sieben Uhr zu einem „Psychiatrischen Notfall – unklarer Lage“, Einsatzort Liebigstraße. Thomas M. Goerlich kommt mit Koffer, EKG und begleitendem Notfallsanitäter und findet sich in einem vollen Hörsaal wieder – vom bedürftigen Patienten fehlt jede Spur. Stattdessen wird er von Kolleg:innen und Weggefährt:innen überrascht, mit einem eigens hergestellten Film über „Leben und Ära des TMG“. Auch der Klinikdirektor, der Medizinische Vorstand des UKL und der Dekan der Medizinischen Fakultät sind anwesend und finden persönliche Worte des Abschieds. Ein Grußwort der Altrektorin – und Medizinerin – Beate Schücking wird eingespielt. Und Thomas Goerlich ist sprachlos, was selten vorkommt.

„Genaugenommen kenne ich die Liebigstraße seit August 1974, Studentensommer, da war ich 18 Jahre alt. Meine Approbation erhielt ich sechs Jahre später, ich war mit 24 Jahren Arzt“, erinnert sich Goerlich, der seine Ehefrau, ebenfalls Ärztin, im Studium kennenlernte. Der damalige Berufsabschluss lautete Diplom-Mediziner/Arzt und wer an der Universität verbleiben wollte, musste vor der Facharztprüfung eine Dissertation ablegen. 1982 begann dann seine Laufbahn als Urologe. Der von ihm während seiner Diplomarbeit ab dem fünften Semester mitentwickelte Anamnese- und Statusbogen ist in abgewandelter Form bis heute in Gebrauch. Weggefährt:innen beschreiben Goerlich als loyalen, im Klinikalltag universell einsetzbaren, humorvollen, sehr sozialen und engagierten Partner. Ein Leipziger universitäres Urgestein, welches durch unvergessliche Betriebsausflüge und Feierlichkeiten in Erinnerung bleibt und nach der Expo 2000 die Idee für den sogenannten Anästhesistenwald hatte, welcher heute mit bisher 43 finanzierten Bäumen am Cospudener See zum Spazierengehen einlädt.

Medizingeschichte der Liebigstraße und Tätigkeit im Personalrat

In seinen 42 Berufsjahren – davon 34 Jahre in der Anästhesie – und als dienstältester Notarzt der Stadt Leipzig erlebt Arzt Goerlich viel. In den meisten Fällen kann er helfen, in einigen nicht. Unvergessen ist ihm die über einstündige und schlussendlich erfolgreiche Reanimation eines 26-jährigen Mannes in einer Gartenanlage wie auch die Wiederbelebung eines Neugeborenen in einem Geburtshaus. Emotional war für ihn das Zusammentreffen mit einem 23-jährigen gelähmten Mann und seiner Familie, der Stunden später seinem herbeigeführten begleiteten Suizid erlag.

Die Historie der Universitätsmedizin ist die private Leidenschaft von Alumnus Goerlich. Von den Anfängen im Paulinum 1546 bis zur modernen Spitzenmedizin der Gegenwart nimmt er in Multi-Media-Vorträgen Besucher:innen mit über den Medizincampus Liebigstraße. Er engagiert sich im Alumniverein der Medizinischen Fakultät und initiiert viele Stuhlpatenschaften für die Universität Leipzig: Ein Stuhl als Symbol für die Verbundenheit mit der Hochschule, welcher mit Namensplakette versehen im Paulinum zum Platzeinnehmen einlädt. Selbstredend, dass auch sein Name auf einer der Plaketten eingraviert ist. In seiner Funktion als Mitglied des Personalrats der Medizinischen Fakultät übt er mehrere Funktionen aus und scheut sich nicht, bei unbequemen Themen den Finger in die Wunde zu legen. Probleme möchte er auf Augenhöhe lösen. In seiner Rolle des Prüfarztes ist er an der Planung, Organisation und Durchführung mehrerer klinischer Studien beteiligt und wirbt Drittmittel ein.   

„Sex und Liebe“

Seit Anfang der 1980er-Jahre kümmert sich Urologe Goerlich um die komplexen Fragestellungen des Transsexualismus und ist maßgeblich an der Etablierung eines regionalen Betreuungsnetzwerkes beteiligt. Mit einem Kollegen gründet er den Verein für Sexualaufklärung und Prävention in der Leipziger Eisenbahnstraße und ermöglicht so über viele Jahre Sexualunterricht für insgesamt 54.000 Schülerinnen und Schüler. Bis heute ist er aktives Vorstandsmitglied in der Gesellschaft für Sexualwissenschaft e.V. und organisiert Tagungen in Kooperation der Medizinischen und Erziehungswissenschaftlichen Fakultät zu interdisziplinären Geschlechterfragen. „Wir Sachsen sind offen und tolerant“, lautet seine Botschaft.

Der Ruheknopf wird noch nicht gedrückt

„Ich bleibe der Universitätsmedizin erhalten“, meint Goerlich auf die Frage nach seinem Ruhestand. Als Ansprechpartner für Suchtfragen der Medizinischen Fakultät bleibt er bis Ende 2022 im Amt. Er ist weiterhin aktiv im Verein zur Förderung der anästhesiologischen Fortbildung Leipzig. Und er möchte die jetzt frei werdende Zeit verwenden und hunderte Fotos und eingescannte Abbildungen für seine Vorträge zur Leipziger Medizingeschichte bearbeiten. Die historischen Zeitdokumente, die er nach dem Ausräumen seines Zimmers im Personalratsbüro an das Karl-Sudhoff-Institut übergibt, können in den künftigen Ausstellungsräumen besichtigt werden. „Wir werden dann hier im Studienzentrum einen Raum für thematische Kabinettausstellungen haben, wo wir unter anderem diese Objekte präsentieren können“, erläutert Prof. Riha. Die Planungen gehen gut voran, aber bis zur Eröffnung wird es noch eine Weile dauern. Führungen durch die öffentliche Sammlung des Instituts, das könne er sich gut vorstellen. An Ruhestand ist nicht zu denken.

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