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Ihr gehe es um nichts weniger als die zeitgenössische deutsche Literatur, sagt Prof. Dr. Kerstin Preiwuß. Als neuberufene Professorin für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut (DLL) der Universität Leipzig möchte die 41-Jährige Literatur als Kunst mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verknüpfen. Erfahrungen auf diesem Gebiet hat sie in den vergangenen 12 Jahren, in denen sie als freiberufliche Schriftstellerin tätig war, mit Sicherheit genügend gesammelt und möchte diese auch an ihre Studierenden weitergeben.

Frau Prof. Preiwuß, was haben Sie studiert – und wo?

Germanistik/Philosophie/Psychologie in Leipzig und Aix-en-Provence mit anschließender Promotion in Linguistik. Parallel zur Promotion Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Was waren im Anschluss Ihre wichtigsten beziehungsweise Ihre letzten beruflichen Stationen?

Die letzten 12 Jahre war ich freiberuflich arbeitende Schriftstellerin.

Was fasziniert Sie an Ihrem Forschungsgebiet und was sind Ihre Schwerpunkte?

Es geht um nichts weniger als die zeitgenössische deutsche Literatur vor dem Hintergrund der Weltliteratur, um die Verflechtung von Literatur als Kunst mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, um die Lesbarkeit der Welt, um den Prozess der allmählichen Verfertigung der Gedanken durch Schreiben, um die Sprache, in deren Struktur sich jeder Gedankengang vollzieht und zu einer Form findet, um Muster und ihre Veränderbarkeit, um permanente Übersetzbarkeit als Spannungszustand, in dem einen die Literatur hält.
Mich interessiert dabei die Erzählbarkeit von Wissen, ich verfolge gegenwärtige Entwicklungen in der Wissenschaft, die mittlerweile auch mit narrativen Strukturen arbeiten, und frage mich nach der Bedeutung, zum Beispiel für die literarische Essayistik. Suche nach Schnittstellen zwischen natürlichen (naturwissenschaftlichen) und textuellen Mustern und sich daraus ableitenden etwaigen zukünftigen Textsorten. Denke nach über Mündlichkeit in und als Literatur.

Haben Sie sich für Ihre Tätigkeit an der Universität Leipzig ein bestimmtes Forschungsziel gesetzt? Welches?

Herausragende Bücher der Studierenden, so zeit- wie unzeitgemäß sie nur sein können. Zudem halte ich Schreiben als Schlüsselfaktor für den Transfer von Erkenntnis im Sinne einer lebenslangen Bildung für essenziell. Was wir am DLL machen, ist angewandte Wissenschaft zur Beförderung einer ausübenden Kunst.

Würden Sie bitte kurz einige Schwerpunkte nennen, die Sie in der Lehre setzen wollen?

Am Institut gibt es Theorie- und Praxisseminare.
Theoretisch steht bei mir die Vermittlung sprachlicher Aspekte im Fokus. Jeder Text ist aus Sprache gemacht und folgt wie unterwandert demzufolge deren Strukturen. Darüber hinaus sind mir semiotische wie kognitive Ansätze wichtig, beispielsweise Raum- und Zeitparadigmen als Hintergründe von Literatur. Diese Hintergründe können sich auch ändern, neue Raumkonzepte haben möglicherweise Auswirkungen auf die Erzähltheorie. Auch die Konzeptualisierung von Gefühlen sowie die Rolle der Mündlichkeit bei der Herstellung von etwas Erzählbarem sind spannende Themen. Wichtig ist mir zudem, nicht nur gegenwärtige Diskurse zu betrachten, sondern die Verlaufsgeschichte der Literatur wahrnehmbar und damit übersetzbar zu halten.
In den Werkstätten denke ich an die Reflexion einer sich herausbildenden eigenen Poetik gerade auch vor der Erkenntnis gegenteiliger, jedoch gleichberechtigter Poetiken. Sowie an die Fähigkeit, die Belange des eigenen Textes als unabhängig vom Schreibwunsch wahrzunehmen, um einen Text so betrachten zu können, als läse man ihn zum ersten Mal. Das ist schwer, weil es erfordert, dass sich – nach Herta Müller – der Text selbst sieht. Hilfreich ist dafür ein Bewusstsein für die Sprachform der Texte. Das gilt gleichermaßen für Prosa, Lyrik oder Essayistik. Darüber sollte man nicht vergessen, dass jede Regel aus Strukturen hervorgeht, die man ästhetisch unterwandern kann.
Ich hege darüber hinaus ein besonderes Interesse an Ost(mittel)europa, befürworte die (nach Johannes Bobrowski) „Rekultivierung einer östlichen Bewusstseinshälfte“.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: „Die Universität Leipzig ist für mich …“

Darf ich anders ansetzen? Die Universität Leipzig gibt mir die Sicherheit, Kunst in ihrer Literarischen Ästhetik ohne Hemmnisse zu entwickeln und die sich im Verlauf meines Lebens angesammelte Expertise uneingeschränkt und nahezu ideal weitergeben zu können. Reziprok wird der Austausch mit den Studierenden mein Verständnis von literarästhetischen Prozessen der Gegenwart immer wieder befeuern. Ich würde sagen: Jackpot.

Antworten Sie gern mit persönlichem Bezug oder allgemein: Welche Entdeckung, Erfindung oder Erkenntnis wünschen Sie sich in den nächsten zehn Jahren?

Ich wüsste gern, ob Steine kommunizieren und wie Pflanzen miteinander sprechen und ob sie uns wahrnehmen. Dass Pflanzen kommunizieren, ist bekannt, aber die Perspektive auf uns ist doch interessant. Zudem Impfstoffe gegen Krebs und Aids. Wenn ich weiterdenke, fange ich an, mir noch viel mehr zu wünschen.

Welche Hobbys haben Sie?

Ich bin Schriftstellerin.

Haben Sie ein bestimmtes Lebensmotto, das Ihnen auch über schwierige Phasen hilft?

Habe ich irgendwann aufgegeben, beziehungsweise ab und an: Wer weiß, wozu es gut ist, weil es eine Zukunft erwartbar macht, die es im Moment der Gegenwart noch nicht gibt oder die von der Gegenwart aus nicht denkbar ist, und Dinge dann wieder verständlich werden, die einen in der Gegenwart herausfordern. Zudem hält es einen offen.

Verraten Sie uns bitte noch, wann und wo Sie geboren sind?

21.11.1980 in Lübz (Mecklenburg).

Vielen Dank.

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