Es ist halb zehn am Mittwochmorgen und anstatt bereits seit zwei Stunden mit Klinikkittel im Gepäck in der Uni zu sein, mache ich mich auf den Weg zum Laptop. Jogginghose statt Kittel ist das Motto meines achten Semesters, welches wohl als „Corona-Semester“ in die Geschichte eingehen wird und das ich mir unter keinen Umständen so hätte vorstellen können.
Der klinische Studienabschnitt im Medizinstudium lebt von einem praktischen Format: dem Unterricht am Krankenbett, von uns liebevoll „UaK“ genannt. Wir lieben und fürchten den UaK, da er uns auf der einen Seite endlich Patientenkontakt ermöglicht, wir auf der anderen Seite aber nie wissen, was auf uns zukommt. Wie oft habe ich über den UaK geschimpft! Und dennoch habe ich genau dieses Unterrichtsformat im vergangenen Semester am meisten vermisst. Präsenzunterricht war natürlich nicht möglich – zum Schutz der Patienten, und um die „curve zu flatten“, wie es so schön hieß. Stattdessen gab es Online-Formate, um den Unterrichtsausfall zu kompensieren. Trotz technischer Startschwierigkeiten bei digitalen Meetings mit Dozenten, in denen ich sie (oder sie mich) vorübergehend nicht hören oder sehen konnten, habe ich mich schnell daran gewöhnt. Der „worst case“: Bei einem Online Seminar versehentlich den Ton anzulassen, während man nebenbei sein super-crunchy Schoko-Knusper-Müsli zum Frühstück genießt. Eine Geräuschkulisse, die ich nicht unbedingt mit meiner gesamten Seminargruppe und einem Oberarzt der Humangenetik teilen möchte, versteht sich.
Ich vermisste also die UaKs, die Vorlesungen hingegen gar nicht. Dank des ausfallenden Präsenzunterrichts hatte ich nämlich endlich Zeit, mir die zur Verfügung gestellten Vorlesungs-Podcasts auch wirklich mal anzuhören, statt wie sonst, nach einem langen Uni-Tag, beim Versuch zu lernen am iPad durch die Vorlesungsfolien zu swipen und mir in Pastelllila vermeintlich wichtige Schlagworte zu markieren. Dank der Podcasts konnte ich dieses Semester wirklich viel mitnehmen! Leider gab es aber auch ein paar Fächer, bei denen sich Kommunikation und Organisation der Lehre deutlich schwieriger gestalteten, – ohne Unterlagen lernt es sich bekanntlich nicht so gut – so dass zu technischen Schwierigkeiten und zur Einsamkeit, die das Studieren von zu Hause mit sich bringt, auch noch eine andauernde Unsicherheit bezüglich der Prüfungsvorbereitung aufkam, was ich nicht unerwähnt lassen möchte.
Also ja, es war anders, dieses „Corona-Semester“, und ich bin definitiv nicht scharf darauf, es zu wiederholen. Es waren die kleinen Dinge, die mir fehlten: noch kurz vor dem UaK zusammen vor dem Hörsaal stehen oder der gemeinsame Mensa-Besuch danach. Außerdem stets präsent: Einsamkeit und große Unsicherheiten, die es schwer machten, sich auf neun Klausuren vorzubereiten. Jetzt liegen die Prüfungen erfolgreich hinter mir und insgesamt denke ich, dass jeder von diesem Semester etwas mitnehmen konnte. Unser Studium wurde digitaler und ich glaube fest daran, dass diese neuen Möglichkeiten eine Bereicherung sein können. Ich persönlich habe gelernt, die kleinen Dinge mehr wertzuschätzen und Bildung und vor allem den praktischen Unterricht am Patientenbett nicht als selbstverständlich wahrzunehmen. Ich freue mich also sehr auf das kommende Semester, denn damit startet mein letztes Jahr an der Uni. Umso mehr hoffe ich natürlich, dass wir in diesem letzten Jahr nochmal „richtig“ gemeinsam zur Uni gehen, uns von allem verabschieden können, bevor danach das praktische Jahr an der Klinik beginnt.
Über mich
Ich bin 24 Jahre alt und studiere seit 2016 Humanmedizin an der Universität Leipzig. Mit meinem Blog „Jule und die Medizin“ und dem dazugehörigen Instagram-Account erreiche ich regelmäßig knapp 20.000 junge Menschen, die sich für das Medizinstudium und den Studierendenalltag interessieren.
Der Beitrag erschien zuerst im Alumni-Magazin 2021 der Universität Leipzig.
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