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Individuelle Wahrnehmungen – etwa von Düften – können mithilfe von Künstlicher Intelligenz besser verstanden werden. Die Erforschung von Duft- und Geschmacksstoffen ist für Juniorprof. Dr. Julia Westermayr und ihr Team besonders herausfordernd, da es sich um subjektive Sinneswahrnehmungen handelt. Im siebenten Teil unserer Reihe zur Nutzung von KI im Uni-Kontext berichtet die Wissenschaftlerin vom Wilhelm-Ostwald-Institut für Physikalische und Theoretische Chemie, wie reflektiert und sensibel sie die neuen Möglichkeiten für ihre Forschung nutzt, ohne den Menschen ersetzen zu wollen.

Wie nutzen Sie Künstliche Intelligenz in Ihrer Forschung – und in welchem fachlichen Kontext? 

Wir setzen Künstliche Intelligenz außerhalb der Chemie in verschiedenen Bereichen ein – von der Analyse biomechanischer Bewegungen bis hin zur Erforschung von Duft- und Geschmacksstoffen in Kooperation mit der Firma Bell Flavors & Fragrances GmbH in Leipzig. Letzteres ist besonders anspruchsvoll, da es sich um subjektive Sinneswahrnehmungen handelt. Nicht jeder Mensch empfindet Gerüche und Geschmäcker gleich, zum Beispiel Koriander, was die Entwicklung verlässlicher Modelle zu einer spannenden Herausforderung macht. Ziel ist es, individuelle Wahrnehmungen mithilfe von KI besser zu verstehen und zu modellieren. 

Was ermöglicht der Einsatz von KI in Ihrem Projekt, das zuvor nicht oder nur schwer möglich war? 

KI eröffnet neue Wege bei der Analyse und Optimierung. So automatisieren wir beispielsweise die Identifikation komplexer chemischer Mischungen, was früher nur durch Expert:innen manuell möglich war. Ein weiterer Vorteil: Rezepturen lassen sich gezielt anpassen – etwa wenn Zutaten aufgrund gesetzlicher Vorgaben ersetzt werden müssen, ohne den Geschmack oder Geruch wesentlich zu verändern. Die KI schlägt auf Basis vorhandener Daten neue Formulierungen vor, die dann im Labor getestet werden können.

Welche Herausforderungen oder ethischen Fragen begegnen Ihnen beim Einsatz von KI in der Forschung? 

Ein zentrales ethisches Thema ist der Umgang mit Subjektivität: Düfte und Geschmäcker sind stark durch persönliche Erfahrungen geprägt. Wenn ein Geruch etwa positive Kindheitserinnerungen weckt, bei anderen aber negative Gefühle auslöst, kann KI dies kaum nachvollziehen. Die Herausforderung besteht darin, solche emotionalen, kulturellen und individuellen Unterschiede angemessen abzubilden, ohne die Vielfalt menschlicher Wahrnehmung zu vereinfachen oder zu verzerren. Hier ist ein sensibler, reflektierter Einsatz von KI gefragt, der Menschen nicht ersetzen, sondern unterstützen soll.

Risiken sehen wir vor allem in der Überschätzung der Technologie und im unreflektierten Einsatz.

Welche Erfahrungen möchten Sie mit anderen Forschenden teilen, die überlegen, KI in ihrer Arbeit einzusetzen? 

KI kann ein hervorragendes Werkzeug sein mit viel Potenzial, aber sie ist kein Selbstläufer. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Qualität der Daten und im Bewusstsein für ihre Grenzen und ethischen Implikationen. Oft wird unterschätzt, wieviel Aufwand es bedeutet, geeignete Daten zu generieren oder aufzubereiten. Wichtig ist außerdem: Man muss nicht alle Kompetenzen selbst mitbringen. Der Austausch mit Expert:innen aus Informatik, Ethik und Fachwissenschaft ist enorm wertvoll. Offenheit für neue Denkweisen und interdisziplinäre Kooperation sind dabei genauso wichtig wie technisches Know-how. KI ersetzt keine Intuition oder Kreativität, sie ergänzt sie.

Wo sehen Sie Chancen und Nutzen, wo Schattenseiten und Risiken? 

Chancen liegen in der Automatisierung komplexer Analysen, der Beschleunigung von Forschungsprozessen und der Entdeckung neuer Muster oder Zusammenhänge, die dem menschlichen Auge verborgen bleiben. Gerade in der Rezepturentwicklung bietet KI großes Potenzial für nachhaltige, innovative Lösungen. Risiken sehen wir vor allem in der Überschätzung der Technologie und im unreflektierten Einsatz. Wenn subjektive oder kulturell geprägte Daten als objektiv betrachtet werden, kann das zu problematischen Verzerrungen führen. Auch Fragen nach Transparenz, Erklärbarkeit und Verantwortung bei Entscheidungen, die durch KI gestützt sind, müssen ernst genommen werden.

Gab es in Ihrem Projekt einen Moment, in dem Sie durch den KI-Einsatz besonders überrascht wurden?

Ja – immer wieder zeigt sich, wie sensibel KI auf fehlerhafte oder unvollständige Daten reagiert. Ein einziger falscher Wert kann das gesamte Modell in die Irre führen. Diese Genauigkeit ist beeindruckend und mahnt gleichzeitig zur Sorgfalt. Es ist faszinierend zu beobachten, wie KI nicht nur Lösungen vorschlägt, sondern auch auf Schwächen in den Datensätzen hinweist, die man selbst leicht übersehen hätte.

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