Nachricht vom

Böden verlieren ihre Fruchtbarkeit, die Artenvielfalt geht dramatisch zurück, Mikroplastik und Giftstoffe verbreiten sich in entlegensten Ökosystemen – mit Folgen für Klima, Ernten, Wohlstand und Sicherheit. Ein interdisziplinäres Team aus internationalen Forschungseinrichtungen hat Lösungswege für acht Problemfelder erarbeitet und im Fachjournal Biogeosciences publiziert. Dies ist Auftakt einer jährlichen Publikationsreihe, die die alle acht bis zehn Jahre erscheinenden großen UN-Weltberichte IPCC und IPBES ergänzen soll. Geleitet wird die Studie von Dr. Friedrich Bohn, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Departments Hydrosystemmodellierung sowie Ökologische Systemanalyse am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), und Prof. Dr. Ana Bastos, Professorin für Land-Atmosphäre-Interaktionen an der Universität Leipzig. Im Interview mit dem Universitätsmagazin sprechen sie über Hintergründe und Absichten, die sie mit dieser neuen Reihe verfolgen.

Frau Professorin Bastos, Herr Dr. Bohn, Sie haben mit vielen anderen interdisziplinär Forschenden von internationalen Forschungseinrichtungen eine Publikationsreihe gestartet, die jährlich aktuelle Erkenntnisse aus der Biosphärenforschung zusammenfasst. Was ist das Ziel dieser Reihe? 

Dr. Friedrich Bohn: Mit dieser Reihe sollen Entscheidungsträger:innen fundierte Einblicke in den aktuellen Stand der Forschung zur Biosphäre erhalten. Damit soll einerseits der Informationsfluss in den Jahren zwischen den umfassenden Sachstandsberichten des IPCC und des IPBES sichergestellt werden. Andererseits sollen wirtschaftliche und politische Entscheidungen, die in engem Zusammenhang mit der Biosphäre stehen, durch wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse unterstützt werden.

Prof. Dr. Ana Bastos: Dabei ist es uns ein besonderes Anliegen, nicht nur gesichertes Wissen zu vermitteln, sondern auch bestehende Unsicherheiten und Forschungslücken transparent zu machen. 

Welche wissenschaftlichen Disziplinen sind daran beteiligt?

Bastos: Von Anfang an war es uns wichtig, stark interdisziplinär zu arbeiten. Deshalb sind Forschende aus den Naturwissenschaften, den Sozialwissenschaften und der Ökonomie Teil des Projekts.

Bohn: Gleichzeitig haben wir großen Wert auf eine internationale Zusammensetzung des Teams gelegt. Die Autorinnen und Autoren kommen nicht nur aus Europa und Nordamerika, sondern auch aus Afrika, Asien und Südamerika. Das war uns sehr wichtig, um so unterschiedliche Perspektiven und regionale Kontexte einzubringen.

Im ersten Paper haben Sie Lösungswege für acht globale Problemfelder erarbeitet. Welche Problemfelder sind das?

Bastos: Wir haben uns unter anderem mit der Bedeutung von Küstenlebensräumen beschäftigt und untersucht, welche Auswirkungen die Abholzung auf den globalen Wasserkreislauf hat. Ebenso haben wir analysiert, welche Veränderungen in der Dynamik von Feuerereignissen infolge des Klimawandels zu erwarten sind und welche Aspekte bei naturbasierten Ansätzen zur Kohlenstoffbindung besonders berücksichtigt werden müssen.

Bohn: Darüber hinaus stellen wir wissenschaftliche Arbeiten zum Anteil naturnaher Lebensräume vor und beleuchten, welche Faktoren bei zukünftigen internationalen Maßnahmenpaketen mit Bezug zur Biosphäre stärker in den Fokus rücken sollten. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der ökonomischen Bedeutung von Ökosystemen. Wir präsentieren ein Konzept, das über eine rein ökonomische Bewertung hinausgeht und ökologische sowie soziale Werte mit einbezieht.

Eine Porträtaufnahme von Dr. Friedrich Bohnvor einer Glastür.

Wir hoffen, dass auch Entscheidungsträger:innen der Wirtschaft unser Paper lesen, da die Zerstörung und Degeneration von Ökosystemen der Wirtschaft langfristig schaden.

Dr. Friedrich Bohn

An wen richten sich die Lösungswege bzw. -vorschläge? 

Bohn: Unsere Lösungsvorschläge richten sich selbstverständlich in erster Linie an Politiker:innen. Mit unserer Arbeit wollen wir ihnen Ideen und Argumente für eine weitsichtige und faire Politik liefern. Andererseits hoffen wir, dass auch Entscheidungsträger:innen der Wirtschaft unser Paper lesen, da die Zerstörung und Degeneration von Ökosystemen der Wirtschaft langfristig schaden. Neben den Gefahren zeigen wir auch immer wieder Chancen für eine nachhaltige Wirtschaft auf.

Können Sie beispielhaft anhand des gerade veröffentlichten Papers eine Handlungsempfehlung für ein Problemfeld erläutern? 

Bastos: Die meisten Menschen kennen inzwischen die Bedeutung von Wäldern als Kohlenstoffsenke und wissen, dass Entwaldung den CO₂-Gehalt in der Atmosphäre steigen lässt. In einem Kapitel erweitern wir dieses Wissen nun um die Bedeutung der Wälder für den globalen Wasserkreislauf. Schätzungen zufolge stammen etwa 40 Prozent des weltweiten Niederschlags aus der Transpiration von Pflanzen. Die Abholzung von Wäldern verringert also die regionalen und windabwärts gerichteten Niederschläge. Dies kann ein trockeneres Klima und somit eine geringere landwirtschaftliche Produktivität zur Folge haben. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass der Verlust von einem Prozent des Waldes in den Tropen die Niederschlagsmenge um 0,25 mm pro Monat verringern und die Regenzeit um bis zu 40 Tage verzögern kann.

Bohn: Änderungen der Niederschläge haben selbstverständlich Konsequenzen für die Landwirtschaft und somit auch für die Lebensmittelsicherheit. Ein Stopp der Entwaldung sollte daher eigentlich im Interesse der Landwirtschaft liegen. Um die Entwaldung einzudämmen, empfehlen wir in unserer Studie verschiedene Maßnahmen: Neben der Förderung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung, der Ausweisung von Schutzgebieten und der Verhängung strenger Strafen für illegalen Holzeinschlag ist auch ein gutes und faires Landschaftsmanagement sowie die Entwicklung ländlicher Räume wichtig.

Bastos: Maßnahmen für die Lieferkette, wie beispielsweise die EU-Entwaldungsverordnung, müssen dabei vor allem Hochrisikogebiete im Auge haben und gleichzeitig die ländliche Entwicklung unterstützen.

Bohn: Bei Aufforstungsprogrammen in Gebieten mit von Natur aus geringem Baumbestand, die beispielsweise dazu dienen, CO₂-Zertifikate zu generieren, kann diese Maßnahme jedoch die Ökosysteme schädigen. Dies kann geschehen, wenn die ursprüngliche biologische Vielfalt verringert wird, Feuchtgebiete austrocknen und somit die Wassermenge, die die Flüsse erreicht, verändert wird.

Bastos: Trotz dieser jüngsten Erkenntnisse bestehen immer noch gewisse Unsicherheiten bei der Abschätzung der Auswirkungen von Maßnahmen auf regionaler Ebene. Daher sind bodengestützte Daten in Kombination mit Satellitenmissionen, insbesondere in tropischen und semiariden (halbtrockenen) Regionen, sehr wichtig.

Die Studie wird auch durch eine Beratungsagentur promotet, die das Thema Nachhaltigkeit als Schwerpunkt hat. Mit welcher Absicht?

Bohn: Die Agentur BAM! Bock auf Morgen ist 2022 als Ausgründung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung entstanden. Seither berät das Team Unternehmen, NGOs und Kommunen bei einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitstransformation, die weit über die Themen Energie und CO₂ hinausgeht. Denn wenn wir über Transformation sprechen, ist Marketing vermutlich genauso wichtig wie der Inhalt selbst, wenn der Wandel wirklich gelingen soll. 

Kommentare

Keine Kommentare gefunden!

Ihr Kommentar

Hinterlassen Sie gern einen Kommentar. Bitte beachten Sie dafür unsere Netiquette.