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Engländer haben ein wunderbares Sprichwort: „Every cloud has a silver lining“. Ich habe lange gebraucht, um den Silberstreifen jetzt zu finden.

Schließlich sind nicht nur alle irgendwie genervt (von Mitarbeitern und Freunden bis zu Trump): Man findet auch selbst, dass Digitalisierung genügend Herausforderung war, man Moodle & Co. ganz gut beherrscht (inklusive versteckter Apps, deren Namen man kürzlich nicht mal kannte), man in Zoom oder BBB (kannte man auch nicht) ebenso fit ist wie in Skype oder Loom. Studierende, Kollegen wie Kolleginnen verstecken sich nicht mehr hinter keiner Kamera und rauschendem Mikro, sondern sind – vermutlich ebenso genervt wie ich – willige Partizipanten mehr oder weniger angenommener Digitalisierung. Das durchaus spannende Testen des Frühjahrs weicht dem Wissen, das dies vielleicht die ‚schöne neue Welt‘ ist, aber sicher nicht die gewollte Zukunft. Kurzum, man möchte zurück zur Normalität: zur Präsenzlehre, zum persönlichen Kontakt und zur selbstbestimmten Form des Einbaus sinnvoller digitaler Elemente. Einige hatte man ja auch vorher schon genutzt.

„Nun ja“, sagt ein Freund von mir immer, „es ist, wie es ist; nützt ja nüscht!".

Soweit das digitale Präsenzlehre betrifft, ist mir das auch recht und gelingt im guten Miteinander – wie auch richtige Präsenzlehre – mal schlechter und mal besser. Als Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Schulforschung (ZLS) habe ich Lehrabminderungen, die ich allerdings in der Hoffnung auf Präsenz gern überschritten habe. Glücklicherweise (dachte ich) bekam ich nochmal die Gelegenheit, die große Einführungsvorlesung der anglistischen Literaturwissenschaft zu halten, in der ich immer – als Literaturwissenschaftler voll auf das Wort vertrauend – frei gesprochen über Texte und ihre Analyse geredet habe.

Hier zeigte sich nun aber sehr deutlich ein Umkehreffekt:  „Every silver lining needs a cloud.“ Der Hörsaal hatte keine aktuelle Aufzeichnungstechnik, 500 Studierende bekommt man nicht synchron vor einen Bildschirm, gefilmte Vorlesungen schaut sich keiner öfter an und Mitschreiben vor dem PC ist auch nicht so toll.

Das erahnend, habe ich mich für aufwendige, Literaturanalysen zeilenweise nachvollziehende PPTs entschieden, die ich dann als Film bespreche. Mit dem Wissen eines erfahrenen Lehrers um einen vertrauten Gegenstand brauche ich wenig Zeit, den Inhalt zu erdenken, allerdings fast zwei Tage, die Powerpoints auszuarbeiten (es nützt auch keine Hilfskraft, weil ich ja die Texte interpretiere) und dann zirka 60 bis 90 Minuten, um sie filmisch einzusprechen.

Die synchronen Seminare sind in etwa vergleichbar dem üblichen Aufwand, weil ich auf PPTs verzichte.

Nun bin ich aber auch noch ZLS-Direktor. Der Zeitaufwand dort – sieht man von den zahlreichen Einstellungsgesprächen und Corona-bedingten Meetings mal ab – ist wie immer. Hoch halt. Kurzum, geneigte Leser, ich nehme an, Sie kennen dies: Man kommt da irgendwie an die Grenzen seiner zeitlichen Möglichkeiten. Da nun niemand dafür etwas kann, nützt Jammern oder Beschuldigen Anderer nix: Es ist – siehe oben – wie es ist.

Und da fiel mir in den wenigen, wichtigen Stunden herbstlichen Privatlebens denn doch die Lösung ein: Was hätte ich jetzt für Zeit mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt, beim Glühweintrinken, bei Weihnachtsfeiern und Essensverabredungen, beim kollektiven Schauen der Dickensschen „Weihnachtsgeschichte“ oder des „Kleinen Lords“ zugebracht? Ganz zu schweigen von den leichten Unpässlichkeiten der folgenden Tage ... Und dann das Einkaufen der Köstlichkeiten für all die Gäste, ebenso das für sie Kochen, Backen, Dekorieren und Geschenke-Packen ...

Tja, das fällt aus. Das ist der Silberstreifen der gewonnenen Zeit.

Danken wir Gott oder wem auch immer für den weisen Plan, Probleme mit ihrer Abhilfe zu schaffen! Corona: Fluch, Krone und Heiligenschein. Letzteren greif ich mir jetzt, bereite die PPTs vor, sag für zwei Tage good bye zur schnöden Welt; krieg das hin, und bin sicher, wir nutzen und genießen irgendwann wieder, uns persönlich auszutauschen. Und dann wende ich mich der sinnvollen, ausgewählten Digitalisierung des Lebens, der Lehre und der Organisation zu. Ich bin sicher, da fällt uns maßvoll Sinnvolles ein. Darüber nachdenken müssen wir freilich schon jetzt: Nützt ja nüscht! Frohe Weihnachten!

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